© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/14 / 13. Juni 2014

Mit der Vertreibung endete die Tradition
Schlesischer Adel im Wandel der Zeit: Einem Forschungsprojekt folgen gleich vier Ausstellungen in Görlitz, Liegnitz und Breslau
Paul Leonhard

Das Hirschberger Tal birgt die höchste Schlösserdichte in Mitteleuropa. Stück für Stück werden die lange dem Verfall preisgegebenen Herrenhäuser liebevoll saniert. Einige sind längst wieder als Restaurants, Tagungsstätten oder Hotels zugänglich. Was aber ist aus ihren einstigen Besitzer geworden, was aus den einst mächtigen Adelsgeschlechtern, die teilweise seit dem 12. Jahrhundert in Schlesien zu Hause waren?

Mit der Vertreibung der Deutschen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hatte auch der ansässige Adel seine Familiengüter und Stammsitze verloren, durfte sie in vielen Fällen erst wieder nach 1989/91 besuchen. Ein wichtiges Element der familiären Traditionsstiftung war weggefallen. Bibliotheken, Ahnengalerien und Sammlungen, mit denen sich das Gedächtnis der Familie verband, waren am Ende des Krieges zerstört, geplündert oder verstaatlicht worden.

Kunstwerke aus sieben Jahrhunderten

Mit dieser Problematik, aber auch mit dem Umgang mit der materialen Kultur des schlesischen Adels in kommunistischer Zeit haben sich deutsche und polnische Wissenschaftler in einem großen binationalen Forschungsprojekt „Adel in Schlesien“ gründlich beschäftigt. Im vergangenen Jahr präsentierten sie in einer mehrtägigen Konferenz die Ergebnisse ihrer dreijährigen Forschungen.

Seit Ende Mai werden die Erkenntnisse in vier sich ergänzenden Ausstellungen in Görlitz, Breslau und Liegnitz einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt. Erinnert wird an Schlösser und Gutshäuser, Parks, Bibliotheken und Sammlungen. Gezeigt werden Kunstwerke aus sieben Jahrhunderten: Kleinodien, Kirchenschätze, Bücher, Manuskripte, Waffen, Haushaltsgegenstände. Diese werden durch eine umfangreiche Bilddokumentation ergänzt.

Teilweise wird die oft tragische Geschichte einzelner Exponate bis in die jüngste Geschichte erzählt. So wurden beispielsweise aus dem 15. bis 18. Jahrhundert stammende Urkunden aus dem nordöstlich von Glogau gelegenen Schloß Carolath im Herbst 1945 zufällig von einem Arbeiter auf einem Nebengleis des Güterbahnhofs im sächsischen Riesa in einem Leinensack entdeckt. Weil den Mann die schönen Siegel faszinierten, nahm er sie mit und deponierte sie auf dem Dachboden, wo sie in Vergessenheit gerieten und erst unlängst entdeckt wurden. Die Dokumente, darunter Urkunden der römisch-deutschen Kaiser Ferdinand und Matthias, König Friedrichs II. von Preußen und des polnischen Königs Stanislaw II. Augustus, waren Beate Prinzessin von Schoenaich-Carolath auf der Flucht vor der Roten Armee gestohlen worden.

Schlechter erging es dem Service der Schloßherren von Pückler-Schedlau. Als das vergrabene Porzellan 1967 von Bauarbeitern entdeckt wurde, war das meiste zerstört, 70 teilweise beschädigte Stücke sowie mehrere Figuren wurden dem Museum in Oppeln übergeben.

Aktuell sind sie, ebenso wie das 1841 entstandene Gemälde „Jagdrast schlesischer Adliger“ von Ernst Resch, im Kaisertrutz in Görlitz zu sehen. Hier zeigt das Kulturhistorische Museum der Stadt die Schau „Beharren im Wandel. Der Adel Schlesiens und der Oberlausitz seit dem 18. Jahrhundert“. Vorgestellt werden nicht nur herausragende Persönlichkeiten des schlesischen Adels, sondern es werden auch die besonderen Rechtsverhältnisse und Traditionen in der zwischen Sachsen und Preußen geteilten Oberlausitz erläutert.

Gleichzeitig wird die Haltung des Adels in den revolutionären Zeiten von 1848 und 1918, während der Abtrennung von Teilen Oberschlesiens an Polen sowie der Zeit des Nationalsozialismus hinterfragt. So wurde beispielsweise Graf Alexander von Hochberg (1905–1984) polnischer Staatsbürger, nachdem das Fürstentum Pleß 1922 an Polen gefallen war, und kämpfte während des Zweiten Weltkriegs in der polnischen Armee.

Grenzübergreifende Netzwerke des Adels

Auch andere Adelsfamilien votierten in den zwanziger Jahren für Polen, um ihren Besitz zu retten. Die Ausstellung erinnert daran in Form eines Feldzeichens, das von Hochberg 1926 dem Traditions-Regiment „Krakus“ gestiftet hatte. Diese Görlitzer Ausstellung wird durch eine zweite ergänzt, die sich im Schönhof befindet. Sie wurde vom Schlesischen Museum unter dem Titel „Ritter, Junker, Edelleute. Der Adel der Oberlausitz in Mittelalter und Früher Neuzeit“ gestaltet und spürt mit Hilfe von archäologischen Funden der Besiedlung der Region ab Mitte des 12. Jahrhunderts nach.

In der Ritterakademie und dem Leubuser Hof im heute polnischen Liegnitz präsentiert das Kupfermuseum eine vierteilige Schau, die die herausragende Position des Adels in der Entwicklung der materiellen und geistigen Kultur Schlesiens bis zum Beginn des bürgerlichen Zeitalters darstellt. Multimediale Präsentationen informieren über ehemalige Adelssitze, die Geschichte der wichtigsten schlesischen Adelsfamilien und veranschaulichen die höfische Kultur.

Speziell dem Vermächtnis der Gräfin Friederike von Reden (1774–1854) und ihrem Einfluß auf die religiöse Erneuerung im Hirschberger Tal widmet sich das Universitätsmuseum Breslau.

Alle vier Museen sorgen dafür, daß ein lebendiges Bild vom adligen Landleben und seinen wirtschaftlichen Grundlagen, von Fürstendienst und Krieg, Jagd und Fest, aber auch von den Herausforderungen entsteht, denen sich der Adel im gesellschaftlichen Wandel seit dem Ende des 18. Jahrhunderts stellen mußte. Die grenzübergreifenen Netzwerke des Adels seien als Entwicklungsstufen auf dem Weg zum modernen Europa zu verstehen, konstatieren die deutschen und polnischen Ausstellungsmacher.

„Kulturelle Internationalität, über alle sprachlichen Grenzen hinweg fließende Kommunikationsstrukturen und überterritoriale dynastische Netzwerkbildungen waren seit jeher Kennzeichen des Adels“, sagt Matthias Weber vom Oldenburger Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa: „Am Beispiel der Kultur und der Geschichte des Adels läßt sich eindrucksvoll zeigen, daß europäisches Kulturbewußtsein und regionale Identität keinerlei Widersprüche darstellen, sondern sich wechselseitig ergänzen und verbinden können.“

Auch deswegen engagieren sich heute viele Angehörige des schlesischen Adels in ihrer alten Heimat in der Denkmalpflege oder in kulturellen Projekten. Einer von ihnen, Jasper von Richthofen, hat sogar das Glück, mitten in Schlesien zu Hause zu sein: Er leitet die Görlitzer Sammlungen für Geschichte und Kultur.

Ausstellungen: „Beharren im Wandel“, Kaisertrutz, Görlitzer Sammlungen für Geschichte und Kultur

„Ritter, Junker, Edelleute“, Schönhof, Schlesisches Museum zu Görlitz

„Ritter der Freiheit, Hüter des Rechts“, Ritterakademie und Leubuser Hof, Kupfermuseum in Liegnitz

„Mutter des Hirschberger Tals. Friederike Gräfin von Reden und ihr Wirken“, Universitätsmuseum Breslau

www.adelinschlesien.de

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