© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/14 / 13. Juni 2014

Mechanischer Corps-Geist
Jubiläum: Vierzig Jahre Künstlerhaus Bethanien
Christian Dorn

Hart an der Grenze und darüber hinaus – auch so ließe sich die Tradition des legendären Künstlerhauses Bethanien beschreiben, das jetzt sein 40jähriges Bestehen feiert. Dessen ursprünglicher Standort am Mariannenplatz lag abseits, nahe der Mauer der DDR-Grenze. Dennoch war es republikweit ein Begriff durch den „Rauch-Haus-Song“ von Rio Reisers Kapelle Ton Steine Scherben. Zu den berühmten künstlerischen Gästen des Hauses zählten Samuel Beckett, Heiner Müller, Andrej Tarkowski oder Robert Wilson. 2008 besetzten Linksradikale das Bethanien, einst erstes besetztes Haus Berlins, und zwangen letztlich das international angesehene Künstlerprogramm ins Exil. So residiert seit 2010 das Künstlerhaus Bethanien am Kottbusser Tor, wo es zugleich – in der ehemaligen Lichtfabrik – eine neue Heimat gefunden hat.

Ausstellung: Auf den Spuren von Jules Verne

Anläßlich des Jubiläums wird nun die Schau „Das Mechanische Corps. Auf den Spuren von Jules Verne“ präsentiert. Die von Peter Lang und Christoph Tannert kuratierte Ausstellung überschreitet selbst die Grenzen, indem sie – so das Selbstverständnis der Macher – „die Scheinliberalität des Kunstsystems“ durchbricht. Hoch- und Populärkultur, Kunst und Kitsch, Artifizielles und Artefakte korrespondieren miteinander, sie reflektieren die utopische Vorstellung von einer Erlösung in der und durch die Technik. Dabei offenbart sich die Immanenz der diesen Phantasien innewohnenden Ambivalenz: Verköpert doch die Ästhetik der militärischen Form sowohl den Traum wie die Vernichtung, sei es in der Rakete zum Mond, die in der „Dicken Bertha“ wiederzuerkennen ist, oder im Foto vom Panzergefährt „Redl“, das im schweren Akustik-Geschütz namens „Panzer“ von Nik Nowak wiederaufersteht, als einem Produkt des Techno-Faschismus.

Untrennbar verbunden mit der Faszination des Mechanischen, die zugleich eine Kritik an der „Chip-Ästhetik“ und damit eine Philosophie der Entschleunigung impliziert, ist das in den 1980er Jahren entstandene Phänomen des „Steampunk“. Dessen Ästhetik, inzwischen auch als „Retro-Futurismus“ firmierend, lebt von der Begeisterung für die geradezu archetypischen Prozesse von Dampf- und Nähmaschinen oder der Uhrwerkmechanik. Womöglich ist es ja Zeit, unsere Uhren neu zu stellen.

Die Ausstellung im Berliner Künstlerhaus Bethanien, Kottbusser Str. 10, ist bis zum 3. August täglich außer montags von 14 bis 19 Uhr zu sehen. www.bethanien.de

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