© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/14 / 13. Juni 2014

„Den Gegner als schlimmsten Feind der Menschheit hinstellen“
Vorabdruck aus dem Buch von Karlheinz Weißmann über die alliierte Kriegspropaganda im Ersten Weltkrieg / Teil 4 und Schluß
Karlheinz Weissmann

Die landläufige Meinung, daß moderne Propaganda die Erfindung totalitärer Systeme des 20. Jahrhunderts sei, ist falsch. Sie entstand auf dem Boden der am weitesten entwickelten Massendemokratien Nordamerikas, Großbritanniens und Frankreichs.

Hier wurden auch zum ersten Mal Verfahren ersonnen und erprobt, die auf etwas abzielten, was man in der Sprache des heutigen Marketings „branding“ nennt: gemeint ist das „Einbrennen“ bestimmter Schlüsselworte, Parolen und Bilder. Und hier wurde zum ersten Mal im ganz großen Stil Lüge und Manipulation eingesetzt, um einen Gegner zuerst moralisch, dann tatsächlich zu vernichten. Nach dem Ende des Krieges gab es wenigstens einzelne Journalisten, die zugestanden, daß sie Meldungen frei erfunden hatten, um dem deutschen Feind zu schaden, aber auch solche, die wußten, daß sie sich der perfiden Absicht zur Verfügung gestellt hatten, „die Lüge in ein wissenschaftliches System“ zu bringen, um die Entente „von aller Schuld am Kriege reinzuwaschen“ und „den Gegner als den von aller Welt mit Acht und Bann zu belegenden Störenfried und schlimmsten Feind der Menschheit hinzustellen“.

Spätere Eingeständnisse, daß alles „frei erfunden war“

Eine von dem britischen Premier Lloyd George und dem italienischen Regierungschef Francesco Nitti in Auftrag gegebene Untersuchung des Schicksals der von deutschen Soldaten angeblich Verstümmelten konnte keinen einzigen Betroffenen nennen. 1925 kam eine Untersuchung des britischen Parlaments zu dem Ergebnis, daß die Behauptungen des offiziellen Bryce-Reports unhaltbar seien. Weder ließen sich die Zeugen auffinden, die angeblich gehört worden waren, noch die schriftlichen Dokumente, auf die sich seine Vorwürfe stützten. Als der Verantwortliche Bryce darauf angesprochen wurde, soll er mit dem Satz: „In Kriegszeiten geht alles“ reagiert haben.

Der dahinterstehende Zynismus entspricht ganz dem des ehemaligen Leiters des militärischen Nachrichtendienstes der britischen Truppen in Frankreich, General John Charteris, der anläßlich eines Banketts offenbarte, daß er die ganze „Kadaver-Story“ über Leichen, die die Deutschen in einer Fabrik verarbeitet hätten, frei erfunden habe, oder dem des für die US-Propaganda verantwortlichen Creel, der in öffentlicher Rede erklärte, während des Krieges habe sein Informationsamt eben die Bürger „mit all dem Unsinn über deutsche Soldaten, die belgische Kleinkinder mit dem Bajonett aufspießten“ versorgen müssen, um sie dahin zu bringen, wo man sie haben wollte, allerdings: „Es ist nicht wahr gewesen.“

Die Lügenpropaganda von 1914 wirkt bis heute nach

Schon eine oberflächliche Beschäftigung mit der antideutschen Propaganda des Ersten Weltkriegs läßt ahnen, welche gravierenden politischen, ethischen und psychologischen Folgen sie hatte. Eine gründliche Beschäftigung müßte dazu zwingen, diesen Sachverhalt zur Kenntnis zu nehmen. In Deutschland spricht man bevorzugt von einem „Propagandamythos“, um die Wirkungslosigkeit der Verhetzung behaupten zu können, oder das Interesse gleich auf die antisemitische Propaganda der NS-Zeit zu lenken, ohne deren Modell zur Kenntnis nehmen zu müssen. Dieses Verfahren ist nicht nur unwissenschaftlich, sondern auch unredlich. Es ignoriert bewußt, wie zäh sich der „häßliche Deutsche“ am Leben hält.

Vielleicht ist die Feststellung eines Franzosen übertrieben, daß es Millionen Narren in seiner Heimat gebe, die noch „an die kleinen Kinder mit abgeschnittenen Händen“ glauben, aber ohne Zweifel konnte im Jahr 2008 ein kanadischer Film „Passchendaele“ veröffentlicht werden, der einen gekreuzigten kanadischen Soldaten als Kugelfang vor deutschen Stellungen zeigte, und es existiert jener britische Erziehungsminister, der den Kriegseintritt seines Landes im Jahr 1914 ohne Wenn und Aber zur Heldentat erklärt, weil es darum gegangen sei, die Welt vor deutschen „Greueltaten“ zu bewahren, und selbstverständlich gibt es die große Menge Deutscher, die nach wie vor fest davon überzeugt ist, ihre Vorfahren hätten alles mit Gewalt überzogen, um die Weltherrschaft zu erringen.

Karlheinz Weißmann: Die Erfindung des häßlichen Deutschen. JF Edition, Berlin 2014, gebunden, ca. 200 Seiten, Abbildungen, 34,90 Euro

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