© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/14 / 13. Juni 2014

Jenseits aller völkischen Mythen
Siegfried Gerlich über den politischen Richard Wagner und dessen Selbstverständnis als Deutscher
Roderich Schmitz

Ohne Zweifel hatte Udo Bermbach, der rührige, mit der SPD verbandelte Hamburger Kulturwissenschaftler recht, als er in dem von ihm herausgegebenen Wagner-Jahrbuch die vorliegende Arbeit von Siegfried Gerlich als eine der herausragenden Neuerscheinungen des Jubiläumsjahres 2013 ansprach. Daß Bermbach dafür quasi über seinen ideologischen Schatten springen mußte, glaubt man gern, wenn man berücksichtigt, daß Gerlichs Buch im Wiener Karolinger Verlag herauskam, der für sein katholisch-konservatives Programm bekannt ist. Allerdings hat Gerlich selbst eine Entwicklung durchgemacht, die ihn nicht selbstverständlich in die Umgebung dieses „Dunkelmännerverlages“ (Sigrid Löffler) befördern mußte. Ursprünglich einer der begabtesten Studenten des der „Frankfurter Schule“ zuzählenden Philosophen Herbert Schnädelbach, zeigte sich Gerlich vor allem durch die persönliche Begegnung mit dem vielerorts noch immer geächteten Historiker Ernst Nolte so beeindruckt, daß er beschloß, sein Augenmerk hinfort der im linken Milieu verpönten „Frage nach dem Deutschen“ zu widmen.

Diese gilt ihm auch als roter Faden in dem äußerlich chaotisch und disparat verlaufenden Leben Richard Wagners, seines Lieblingskomponisten. Provokant formuliert, stellt Gerlichs Monographie nicht weniger dar als den Versuch einer kompletten „Entnazifizierung“ Wagners und dessen offensive Verteidigung nicht zuletzt gegenüber halbherzigen Liberalen, die den anrüchigen Theoretiker Wagner gerne verabschieden, um sich desto ungestörter dessen reiner Ton-kunst hingeben zu können.

Daß auch Wagner ein Opfer der fehlgeleiteten Aufarbeitung des Dritten Reiches wurde, steht für Gerlich außer Frage. So heißt es im Vorwort : „Erst als die fremdverordnete ‘Re-education’ (…) zu einem selbstauferlegten kategorischen Bewältigungsimperativ verinnerlicht war, konnte jene Schuldkultur geschaffen und auf Dauer gestellt werden, die ihre Trauerarbeit fortan mit nationalmasochistischem Sündenstolz verrichten sollte.“ Davon dispensiert waren lediglich einstige Emigranten jüdischer Herkunft. So konnten Marxisten wie Ernst Bloch oder Hans Mayer, die noch vor ihrer jeweiligen Flucht aus der DDR Wagner bewundernde Bücher für den Rowohlt-Verlag verfaßten bzw. Texte für das Programmheft der Bayreuther Festspiele beisteuerten, diese Entgleisungen ohne größere Ächtung überstehen.

Eine der Hauptthesen Gerlichs ist es, daß Wagner „das wahre Deutschtum“ von einer ethnisch bestimmten Abstammungs- oder Völkergemeinschaft loslösen und zu einer ethisch fundierten Sprach- und Kulturgemeinschaft veredeln wollte. Er belegt dies auch mit Wagners Enthusiasmus angesichts der Lutherbibel, besonders der Übertragung von Vers 10/11 des 14. Kapitels des 1. Korinther-Briefes, wo der Reformator sich erkühnt, das griechische „barbaros“ als „undeutsch“ zu übersetzen. Weit davon entfernt, hier etwa „ausländerfeindliche Stimmungen“ angeheizt zu sehen, interpretiert Gerlich die Passage im Geiste Wagners mit der zivilisierenden Macht der deutschen Sprache als solcher: „Denn dieser wohnt eine Kraft der Kultivierung inne, die dem ihrer bewußten Deutschen dazu verhilft, den humanen Kern des Fremden zu erschließen – aber auch dessen inhumane Seiten in ihrer Fremdheit zu belassen.“ Bezeichnenderweise vermochte Friedrich Nietzsche dieser Deutung nichts abzugewinnen, und der Bruch bahnte sich an.

Universalismus ohne Nationalmasochismus

Gerlichs intimer Kenntnis des Wagnerschen Werkes ist es zu verdanken, daß er den stereotyp erhobenen Chauvinismus-Vorwurf auf allen Ebenen abzuwehren weiß. In seinem Aufsatz „Über Meyerbeers Hugenotten“ mokiert sich Wagner über den „wunderlichen Kunstpatriotismus“ seiner bornierten Landsleute und erinnert daran, daß Händel seine Apotheose erst in England erfuhr, Gluck ausgerechnet in Paris triumphierte und Mozart die schönste Blüte der italienischen Schule sei.

In diesem Sinne unterscheidet Gerlich den echten Wagnerschen Universalismus von einem faden Kosmopolitismus gegenwärtiger Multikulti-Prediger, der zur Verachtung des Eigenen tendiert. Über Carl Maria von Weber nämlich schreibt Wagner, seine Musik spräche „zu den Herzen der Menschen, gleichviel welcher nationalen Sonderheit sie angehören mögen, eben weil in ihr das Reinmenschliche so ungefärbt zum Vorschein kommt“. Angesichts solcher Positionen erstaunt es nicht, daß Wagner sein Schicksal eher mit dem weltfremden Bayernkönig Ludwig zu verbinden trachtete als mit Bismarck, zu dessen Reichsgründung „mit Blut und Eisen“ er spürbar auf Distanz ging. Als Parallellektüre zu Gerlich empfiehlt sich Rüdiger Jacobs Werk „Richard Wagner – Konservativer Revolutionär und Anarch“ (Graz 2013), das zu ähnlichen Ergebnissen kommt (JF 26/13).

Siegfried Gerlich: Richard Wagner. Die Frage nach dem Deutschen. Philosophie, Geschichtsdenken und Kulturkritik. Karolinger Verlag, Wien 2013, 224 Seiten, broschiert, 24 Euro

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