© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/14 / 20. Juni 2014

Visionen dringend gesucht
Bündnis 90/Die Grünen: Die Landesverbände schauen mit wachsender Sorge auf die schwache Mannschaft in Berlin
Christian Schreiber

Es gibt Orte, an denen die Welt der Grünen noch in Ordnung ist. „Die Zusammenarbeit läuft blendend, wir haben allen Grund, zufrieden zu sein“, erklärte der hessische Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir kürzlich der Frankfurter Rundschau. Seit einigen Monaten regieren seine Grünen in der Wiesbadener Staatskanzlei mit der CDU. Die Liaison zwischen dem ehemals als konservativsten geltenden Landesverband der Union und dem früher ultralinken Grünen-Verband gilt vielen Experten als Modellprojekt. Es ist die erste schwarz-grüne Koalition in einem Flächenland. Vorherige Projekte einer Zusammenarbeit wie im Saarland oder in Hamburg scheiterten entweder an der Selbstzerfleischung der Liberalen oder an Sachfragen.

„Ob wir ein Modell für den Bund sind, muß man abwarten. Aber wir gehen kollegial und respektvoll miteinander um und orientieren uns an Sachthemen. Wir verzetteln uns nicht in Ideologien“, sagt Al-Wazir. Ein paar hundert Kilometer weiter südlich residiert Winfried Kretschmann. In der Stuttgarter Regierungszentrale wird noch gerätselt, ob die Stimmung gut oder schlecht ist. Der Ober-Realo ist der einzige grüne Ministerpräsident der Republik. Rund 24 Prozent reichten ihm 2011 in Baden-Württemberg, um als größerer Partner in eine Koalition mit der SPD zu gehen.

In gut 18 Monaten steht Kretschmann zur Wiederwahl, und seine Position ist schwierig. Der Ministerpräsident gilt als beliebtester Politiker des „Ländles“, aber die Zustimmung für seine Partei schwindet. Nur noch 21 Prozent würden derzeit die Grünen wählen, das ist ungefähr soviel, wie die SPD derzeit auch erhalten würde. Die CDU, die in Baden-Württemberg jahrzehntelang dominierte, hat sich konsolidiert. Nach jetzigem Stand könnte sich die CDU ihren Koalitionspartner aussuchen, für Grün-Rot würde es nicht mehr reichen. „Über diese Frage mache ich mir keine Gedanken, weil wir alle Chancen haben, die Landtagswahl zu gewinnen. Alle anderen Optionen diskutieren wir, wenn wir die Ergebnisse kennen“, gibt sich Kretschmann gelassen. Doch die Ruhe ist trügerisch. Denn die Partei weiß nicht so recht, wohin sie will. Eine Koalition in Baden-Württemberg mit der CDU würden viele als Demütigung empfinden. Andere hoffen hingegen, die Grünen könnten die marode FDP als liberale Partei der Mitte ersetzen.

Dabei fehlt es ihnen vor allem an Visionen. Seitdem der Atomausstieg vollzogen ist, sind die Grünen auf der Suche nach einem Thema, mit dem sie punkten können. Die Energiewende verläuft schleppend und eignet sich derzeit nicht als Wahlkampfschlager. Bei Fragen zur Einwanderung und Euro-Krise bleiben die Antworten aus. Zudem fehlt es der Partei an öffentlichkeitswirksamen Führungspersönlichkeiten. Jürgen Trittin war jahrelang die nichtgeliebte, aber stets unumstrittene Gallionsfigur. Nach dem Mißerfolg bei der Bundestagswahl im vergangenen Herbst mußte er zurücktreten. Seine Partei wollte wieder regieren, das ist ihm nicht gelungen. Dabei war absehbar, daß eine Regierungsbeteiligung nur in einer Koalition mit der Union möglich gewesen wäre. Trittin hat öffentlich mit Bundeskanzlerin Angela Merkel kokettiert, ein schwarz-grünes Bündnis aber nie wirklich gewollt.

Innerhalb der Partei fragen sich bis heute viele Mitglieder, was der Antrieb des ehemaligen Ober-Grünen war, die Machtoption mit der CDU nicht ernsthaft in Betracht zu ziehen. Nun sind Trittin und seine ehemalige Co-Vorsitzende Claudia Roth ebenso Geschichte wie die frühere Fraktionschefin Renate Künast. Sie alle mischen noch am Rande mit, machen Politik, aber versichern brav, daß die „neue Führung Loyalität verdient“, wie Trittin es formuliert. Von den „Neuen“ in der Führung, dem Bayern Anton Hofreiter als Fraktionsvorsitzender und der Saarländerin Simone Peter in der Parteizentrale, hat es bisher lediglich Hofreiter zu deutschlandweiter Bekanntheit geschafft, allerdings auch nur, weil er in die Steueraffäre um nichtangemeldete Zweitwohnungen von Politikern in Berlin verwickelt ist.

Der promovierte Botaniker gilt ansonsten als Mann der leisen Töne, auf dem Berliner Parkett fällt er mehr durch seine langen Haare als durch politische Pointierungen auf. Ein anerkannter Oppositionsführer ist er bislang nicht. Gleiches gilt für Simone Peter. Im Saarland machte sie einen passablen Job als Umweltministerin, glänzte aber auch als Intrigantin in parteiinternen Streitigkeiten. In Berlin fremdelt sie offenkundig ebenso wie ihr Co-Vorsitzender Cem Özdemir, der dem Vernehmen nach immer noch sauer ist, daß er nicht auf der baden-württembergischen Kabinettsliste auftauchte.

Lediglich Hofreiters Kollegin im Fraktionsvorsitz, Katrin Göring-Eckardt, ist einigermaßen bekannt, besetzt aber auch kein politisches Thema wirklich überzeugend. Und so rumort es in den Ländern: „Wenn wir den Freiheitsgedanken stärker besetzen würden, könnten wir viele ehemalige FDP-Wähler gewinnen. Wir müssen uns thematisch breiter aufstellen“, forderte Tarek Al-Wazir in Wiesbaden. Dort, wo die grüne Welt wirklich noch in Ordnung ist.

Foto: Grünen-Politiker Peter, Kretschmann, Göring-Eckardt und Hofreiter (v.l.n.r.): „Die neue Führung verdient Loyalität“

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