© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/14 / 20. Juni 2014

Ritterschlag in Brüssel
Europaparlament: Durch die Aufnahme in die konservative ECR-Fraktion sieht sich die AfD auch innenpolitisch gestärkt
Marcus Schmidt

Endlich geht die Tür auf. Bis zu diesem Zeitpunkt wissen die sieben AfD-Abgeordneten, die wie Schulkinder vor dem Sitzungssaal der ECR-Fraktion in Brüssel ausgeharrt haben, nicht, wie der Kampf ausgegangen ist. Als sie schließlich am vergangenen Donnerstag eine Assistentin der Fraktionsführung in den Saal bittet, wird den Neu-Parlamentariern um AfD-Sprecher Bernd Lucke klar: Es ist geschafft.

Mit 29 zu 26 Stimmen hatten die Abgeordneten der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformisten (ECR) dafür gestimmt, die AfD aufzunehmen. Der Entscheidung war ein tagelanger Machtkampf hinter den Kulissen vorausgegangen. Im Zentrum standen dabei die britischen Konservativen von Premierminister David Cameron. Dieser war von Bundeskanzlerin Angela Merkel gedrängt worden, die AfD nicht durch eine Aufnahme in die ECR-Fraktion, der neben den Tories unter anderem die polnische PiS angehört, aufzuwerten. „Der Erfolg der Aufnahme ist auch ein Erfolg gegen all diejenigen, die im Vorfeld extremen Druck auf die Abgeordneten der Fraktion ausgeübt haben, um aus innenpolitischen Gründen eine Anerkennung und Aufwertung der AfD zu verhindern“, kommentierte Lucke das Ergebnis.

Daß die ECR-Abgeordenten, anders als sonst üblich, geheim über die AfD abstimmten, brachte schließlich den Durchbruch. So bleibt genügend Raum für Spekulationen, wer nun für und wer gegen die deutschen Euro-Kritiker gestimmt hat. Im Vorfeld hatten bis zu fünf Torie-Angeordnete signalisiert, anders als von Cameron gewünscht für die AfD stimmen zu wollen. Anders sah es bei der polnischen PiS aus. Dort gab es starke Vorbehalte gegen die als zu rußlandfreundlich empfundene Position der AfD zur Ukraine-Krise. Vor allem die Rede von Parteivize Alexander Gauland auf dem Erfurter Parteitag Ende März, in der er Verständnis für die Position Moskaus in der Krim-Frage gezeigt hatte, war den polnischen Konservativen unangenehm aufgestoßen. Lucke und Gauland sahen sich schließlich veranlaßt, in einem gemeinsamen Brief an die Polen, diesen Sorgen entgegenzutreten.

Für die AfD bedeutet die Aufnahme in die ECR-Fraktion, die nun die drittgrößte im Europaparlament ist, erhebliche Vorteile für die Arbeit in Brüssel. Die allesamt politisch unerfahrenen AfD-Abegordneten können jetzt auf die Erfahrungen und die Strukturen ihrer Fraktion zurückgreifen. Zudem haben sie nun deutlich bessere Aussichten, einen Platz in den von ihnen gewünschten Ausschüssen des Parlamentes zu bekommen. Auch stehen ihnen mehr finanzielle Mittel für Mitarbeiter zur Verfügung.

Derzeit sammeln die AfD-Abgeordneten alle eingehenden Bewerbungen in einem Pool. Die sieben haben sich darauf verständigt, bei der Vergabe der Posen gemeinsam vorzugehen, um den Apparat möglichst schlank zu halten. Für einige Unruhe vor allem im Landesverband Baden-Württemberg sorgt dabei die Entscheidung des Europaabgeordenten und Landeschefs Bernd Kölmel, zwei Mitglieder des Landesvorstandes anzustellen. Kritiker sehen hier die Gefahr, daß diese im Konfliktfall in der AfD-Landesspitze nicht mehr unabhängig entscheiden könnten.

Neben der Organisation der künftigen Arbeit und der Wohnungssuche in Brüssel stand für die AfD-Abgeordneten in dieser Woche das Kennenlernen ihrer neuen Kollegen aus der ECR auf dem Programm. Hierzu hatte die Fraktionsführung zu einer Klausur in die kroatische Hafenstadt Dubrovnik geladen.

Die AfD-Spitze ist sich indes mit Blick auf die Innenpolitik bewußt, daß der Erfolg in Brüssel, der intern als „Ritterschlag“ gewertet wird, gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. „Das ist auch ein gutes Zeichen für die anstehenden Landtagswahlen“, sagte Parteivize Hans-Olaf Henkel. In den betreffenden Landesverbänden Sachsen, Thüringen und Brandenburg, die sich zu einer ersten gemeinsamen Strategiesitzung getroffen haben, wird ihm kaum jemand widersprechen.

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