© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/14 / 20. Juni 2014

Zeitschriftenkritik: Sezession
Undemokratische Demokratie
Thorsten Thaler

Wie funktioniert unsere Demokratie? Frank Böckelmann (72), Kulturwissenschaftler und geläuterter Altachtundsechziger, weiß darauf diese Antwort: „Eine große Menge von Vereinzelten wird zu einer nachdrücklich empfohlenen Übung einberufen. Konsenswähler oder Protestwähler, man unterzieht sich der Prüfung und genießt den Lernerfolg: die Angebote zugeordnet und eines von ihnen angenommen zu haben. Nach der Befragung läuft das Wahlvolk auseinander. Für andere Bekundungen fehlen ihm die Worte und die Ermächtigung. Die entscheidenden Weichenstellungen – Westbindung, EU, Euro, Finanzmärkte, Zuwanderung – stehen ohnehin nicht zur Wahl.“

Diese kritische Einschätzung äußert Böckelmann in einem Interview mit der Zeitschrift Sezession. Die vom Institut für Staatspolitik (IfS) sechsmal im Jahr herausgegebene rechtsintellektuelle Publikation widmet sich in ihrer aktuellen Ausgabe dem Themenschwerpunkt „Demokratie“. Es ist zugleich das erste Heft nach dem Ausscheiden von Karlheinz Weißmann. Der Historiker hatte Ende April seine Tätigkeit als Wissenschaftlicher Leiter des IfS sowie seine Mitarbeit an der Sezession beendet. Zur Begründung teilte er mit, es sei mit den anderen Verantwortlichen keine Einigung über die Ausgestaltung der weiteren Arbeit erzielt worden.

Weißmanns Historikerkollege Stefan Scheil, Jahrgang 1963, schreibt über den „doppelten Demokratiebegriff“ – jenen einen, der sich über Jahrhunderte hinweg in Deutschland seit den Tagen des Wahlkönigtums herausbildete, und jenen anderen, der mit der Niederlage von 1945 eine „neue Qualität“ brachte. Der Demokratiebegriff in der Nachkriegsordnung sei nicht nur mit der Zustimmung zu den formalen Grundsätzen demokratisch-rechtsstaatlicher Entscheidungsfindung verbunden, also zu freien Wahlen, einer Regierung auf Zeit, Parlamentarismus, Rechtsstaat und Gewaltenteilung, sondern ebenso mit einer „vorbehaltlosen Zustimmung und Übernahme politischer Grundsatzentscheidungen, die sich aus dem Willen der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges ergaben, sowie von deren Geschichtsbild“. Der „Konsens der Demokraten“ umfasse heute neben demokratischen Formen „zunehmend auch den Glauben an haltlose oder zumindest fragwürdige Dinge wie die deutsche Kollektivschuld an Krieg, Diktatur und Judenmord“ sowie an einen „‘autoritären deutschen Charakter’, der abgeschafft werden müsse“. Scheil: „Was in der Bundesrepublik heute als ‘Konsens der Demokratie’ gilt, enthält etliche absolut undemokratische Elemente.“

Weitere Beiträger zum Themenschwerpunkt blicken über den deutschen Tellerrand hinaus, darunter Peter Kuntze („Chinas Volksdemokratie“), Harald Seubert („Wie demokratisch war Athen?“) und Volker Mohr („Die direkte Demokratie in der Schweiz“). Der Kunsthistoriker Norbert Borrmann hat einen Aufsatz über „Demokratische Architektur“ beigesteuert. Ein zehnseitiger Rezen-sionsteil rundet die Ausgabe ab.

Kontakt: Sezession, Rittergut Schnellroda, 06268 Steigra, Telefon/Fax: 03 46 32 / 9 09 42

www.sezession.de

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