© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/14 / 27. Juni 2014

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Rückzugsgefecht
Marcus Schmidt

Politische Rückzugsgefechte sind eine zähe Angelegenheit. Sie ziehen sich oftmals über Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte hin. Dabei ist das Ergebnis von Anfang an klar: Am Ende ist die politische Position, die einst gehalten wurde, restlos aufgegeben. Nur vollzog sich dieser Rückzug quälend langsam. Und genau darum geht es auch: Zeit zu gewinnen.

Ein Lehrbeispiel für solch eine Verzögerungstaktik war am Montag im Innenausschuß des Bundestages zu erleben. Auf der Tagesordnung stand eine Experten-Anhörung zum Gesetzentwurf der Großen Koalition zur Änderung der Optionspflicht im Staatsangehörigkeitsrechts. Zur Erinnerung: Die Union hatte 1999 bei der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts durch Rot-Grün durchgesetzt, daß sich Kinder von Ausländern zwischen dem 18. und 23. Lebensjahr entscheiden müssen, ob sie den deutschen Paß oder die Staatsbürgerschaft ihrer Eltern behalten wollen. Der automatische Doppelpaß sollte verhindert werden.

Im vergangenen Herbst folgte dann der zweite Schritt. Bei den Koalitionsverhandlungen mit der SPD gab die Union faktisch ihren Widerstand gegen die doppelte Staatsbürgerschaft auf. „Für in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder ausländischer Eltern entfällt in Zukunft der Optionszwang, und die Mehrstaatlichkeit wird akzeptiert“, heißt es im Koalitionsvertrag.

Die Anhörung, zu der neben Verfassungsrechtlern und dem Vorsitzenden der Türkischen Gemeinde, Safter Cinar, auch zwei Praktiker aus Einbürgerungsbehörden geladen waren, zeigte, daß die Optionsregelung eine tickende Zeitbombe ist. Ab 2018, wenn die Optionspflicht voll zum Tragen kommt, werde sich die Zahl der durch die Behörden zu prüfenden Fälle verzehnfachen, rechnete Andreas Deuschle vom zuständigen Amt für öffentliche Ordnung in Stuttgart vor.

Statt hundert Fälle im Jahr müßten seine Mitarbeiter dann tausend bearbeiten. Dies sei nicht zu schaffen, pflichtete ihm Martin Jungnickel vom für Südhessen zuständigen Regierungspräsidium Darmstadt bei. „Die Verwaltung ist sehr froh, daß es diesen Gesetzentwurf gibt“, sagte Jungnickel deshalb mit Blick auf die faktische Einführung des Doppelpasses durch die Koalition.

Dieser Macht des Faktischen hatten die geladenen Verfassungsrechtler, die mehrheitlich für die Optionspflicht in ihrer bisherigen Form plädierten und ihre Skepsis gegenüber der Mehrstaatlichkeit als Regelfall zu erkennen gaben, kaum etwas entgegenzusetzen. Die Warnung des Bonner Staatsrechtlers Christian Hillgruber vor der Gefahr der politischen Instrumentalisierung von Doppelstaatlern – vor allem mit Blick auf die Türkei – blieb ohne Resonanz.

Am Ende erweist sich die Optionspflicht daher als geschickt plazierte Zeitbombe, um den Rückzug der Union vom ursprünglichen Staatsangehörigkeitsrecht hin zum vermeintlich „modernen“ Doppelpaß zu decken. Dadurch wird der Umstand verwischt, daß die Union schon lange den politischen Willen verloren hat, die klassische Staatsbürgerschaft zu verteidigen.

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