© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/14 / 27. Juni 2014

Durch dick und dünn
Asylrecht absurd: Abdullah Arian hat für die Bundeswehr in Afghanistan gearbeitet. Die Taliban trachten ihm nach dem Leben. Er flieht, doch die deutschen Behörden sind kleinlich
Hinrich Rohbohm

Er hat dem Tod ins Auge gesehen. Schon mehrmals. Aber als Abdullah Arian in der Nähe des Ortes Gul Tepa im nordafghanischen Distrikt Qalay-i-Zal (nahe Kundus) in einen Hinterhalt der Taliban gerät, hat er mit seinem Leben abgeschlossen. „Ich stand einfach nur da und malte mir aus, wie sie mich wohl töten werden, ob sie mich erschießen oder mir den Kopf abschneiden.“

Das war im Sommer 2009. Der 24jährige arbeitete damals als Dolmetscher für die Quick Reaction Forces (QRF) der Bundeswehr in Afghanistan, als seine Einheit unter Beschuß geriet. Die Taliban sind in der Überzahl. Luftunterstützung ist angefordert. Aber der Hubschrauber kann nicht schießen. Zu viele Frauen und Kinder sind in der Nähe. Die Angreifer nutzen die Zivilbevölkerung als Schutzschild. Lange Schußwechsel. Zwei deutsche Soldaten sterben, ein halbes Dutzend ist verletzt. Sechs Stunden und vierzig Minuten dauert das Gefecht. Arian, der eigentlich nur übersetzen soll, erhält den Befehl, Waffen in Sicherheit zu bringen. Er soll sie in den „Dingo“ laden, einen gepanzerten Transporter, in dem auch er sich in Sicherheit bringen soll.

Doch der Fahrer widerspricht. Arian dürfe während des Gefechts nicht in den „Dingo“ hinein, so seien die Vorschriften, wird ihm gesagt. „Ich kann mich noch genau an den hilflosen Gesichtsausdruck meines Vorgesetzten erinnern. Ich stand dann an einer Mauer und wartete auf meinen Tod.“

Daß er dennoch überlebt, ist pures Glück. Sein Vorgesetzter hat Hilfe angefordert. Mit Rauchbomben machen sich die Überlebenden für den Feind unsichtbar. Unter dramatischen Umständen gelangt Arian zurück ins Isaf-Camp. Seine Uniform weist zahlreiche Einschußlöcher auf. Haarscharf hätten ihn einige Kugeln verfehlt, sagt er. Nur weil bei ihrer Flucht eine Sprengfalle der Taliban nicht zündete, sei er heute noch am Leben.

„Ich hatte riesiges Glück“, sagt Abdullah Arian und nippt an seiner Cola, die er sich auf dem Münchner Hauptbahnhof bestellt hat. Seit acht Monaten ist er in Deutschland, wartet auf seine Aufnahmezusage (siehe Infokasten). Der 24jährige versteht die Welt nicht mehr. „Warum dauert das mit der Anerkennung so lange? Ich bin mit euren Soldaten durch dick und dünn gegangen; die müssen doch wissen, was in Afghanistan los ist.“ Er habe inzwischen viele Asylbewerber kennengelernt, die später nach Deutschland kamen als er. „Trotzdem haben sie schon einen Aufenthaltstitel erhalten. Und das, obwohl sie keine Belege für ihre Verfolgung vorweisen können.“ Er habe dagegen alle seine Dokumente dabei, könne Ansprechpartner der Bundeswehr benennen, Offiziere, mit denen er einst in Afghanistan kooperierte und die seine Situation bestätigen könnten. Dennoch ließen ihn die Behörden bis heute im ungewissen darüber, wie es mit ihm weitergehen wird. Warum sein Fall noch nicht abgeschlossen ist, konnte oder wollte ihm niemand schlüssig erläutern.

Drei Jahre hatte er als „Sprachmittler“ mit der Bundeswehr in Afghanistan zusammengearbeitet, hatte mit einem sogenannten Tactical Cimic Team (TCT) zerstörte Krisenorte aufgesucht, die von den Einsatzkräften wieder aufgebaut wurden. Trotz der Gefahr machte ihm die Arbeit Freude. „Ich hatte das Gefühl, meinem Volk durch den Wiederaufbau helfen zu können“, erzählt der dunkelhaarige Mann, der neben seiner Muttersprache Dari auch Paschtunisch und Urdu spricht.

„Es gibt kein Vertrauen, keine richtige Freundschaft“

Als Dolmetscher gehörte Arian zu den Wohlhabenderen in Afghanistan. Doch über seine Arbeit reden, das ging nie. „Wenn meine Eltern gewußt hätten, was zum Beispiel in Gul Tepa passiert ist, hätten sie mir gesagt, ich soll die Arbeit aufgeben.“ Auch mit Freunden oder Nachbarn konnte er darüber nicht sprechen. Die hätten ihn sofort an die Taliban verraten. „Wenn du in Afghanistan einen Job hast und mehr Einkommen als andere, wirst du verraten, gekidnappt oder sonst was. Es gibt keine richtige Freundschaft, kein Vertrauen.“

Nach einer Offensive der Isaf-Truppen gegen die Taliban Anfang 2011 sollte er zur Zielscheibe werden. „Die Taliban wissen, daß die westlichen Soldaten ohne Dolmetscher aufgeschmissen sind. Ohne Übersetzer ist keine Kommunikation mit der einheimischen Bevölkerung möglich“, erklärt Arian. So erhält die lokale Polizei eines Ortes in Nordafghanistan im August 2012 einen Anruf von einem Anhänger der Taliban. Die Botschaft ist eine Warnung. Der Dolmetscher Abdullah Arian sei von ihnen als Attentatsziel vorgesehen. Die Forderung: Der Übersetzer solle aus der Gegend verschwinden. Leiste er dem nicht Folge, werde entweder er oder seine Familie getötet.

Daß die Islamisten wissen, wer er ist, wundert Arian nicht. „Zahlreiche Taliban haben nach ihrer Niederlage von 2011 den westlichen Streitkräften erklärt, sie hätten sich gewandelt und eingesehen, daß ihre bisherige Überzeugung falsch sei.“ Daraufhin seien sie in den Dienst der lokalen Polizei aufgenommen worden. „So erhalten sie einen relativ attraktiven Lohn, mit dem sie ihre Familien versorgen können.“ Daß sie jedoch ihrer politischen Anschauung tatsächlich abgeschworen haben, bezweifelt Arian. „Die machen Dienst nach Vorschrift. Sie würden auch gegen ihre ehemaligen Mitstreiter schießen. Aber wenn Amerika eines Tages die afghanische Regierung nicht mehr finanziell unterstützt, wechseln sie wieder zu den Taliban“, ist er sich sicher.

Die Bundeswehr bot ihm Schutz an. Er könne im Camp wohnen, hatten sie gesagt. „Und was ist mit meiner Familie?“ Die nicht, mußten die Soldaten einräumen. Arian verläßt die Armee, gibt seinen gutbezahlten Posten auf. Er beginnt zunächst für eine afghanische Nichtregierungsorganisation (NGO) zu arbeiten. Die aber sei äußerst korrupt. Er bekommt Gewissensbisse. „Ich wollte nicht gezwungen werden, meine eigenen Landsleute zu belügen.“ Hinzu kommt, daß er von seinem neuen Arbeitgeber gelegentlich auch in die Regionen geschickt wird, in denen ihn die Taliban nicht sehen wollten. „Arian, du bist wieder da?“ sprechen ihn Leute an, die ihn wiedererkannt haben.

Er befindet sich in einer Zwickmühle. „Wie soll ich meinem Arbeitgeber klarmachen, daß ich nicht in bestimmte Regionen reisen kann?“ In seinen Bewerbungen um einen neuen Arbeitsplatz habe er schließlich seine Dolmetscher-Tätigkeit für die Isaf-Soldaten stets verschweigen müssen. Zu groß sei die Gefahr für ihn und seine Familie gewesen.

Im Dezember 2012 sieht er für sich nur einen Ausweg: Flucht. Nach einer strapaziösen Reise durch entlegene Bergregionen entkommt er über den Iran in die Türkei. Und wird dort von der Polizei aufgegriffen, eingesperrt und schließlich nach Afghanistan zurückgeschickt. Er unternimmt einen zweiten Versuch. Dieses Mal mit mehr Erfolg. Er gelangt über die Türkei nach Griechenland, schließlich nach Deutschland.

Schon als Kind war sein Leben stets von Krieg und Flucht geprägt. Er wurde 1989 im pakistanischen Peschawar geboren. Seine Familie war zwei Jahre zuvor aus der nordostafghanischen Stadt Kundus dorthin geflüchtet, um dem Krieg mit den Sowjets zu entgehen. Als er etwa zwei bis drei Jahre alt war, zogen seine Eltern mit ihm nach Dschalalabad, nahe der afghanisch-pakistanischen Grenze, ehe sie wieder zurück nach Kundus gingen. „Schon mein Großvater floh immer wieder, weil er nicht kämpfen wollte“, erzählt Arian. Sein Vater arbeitete für Unicef.

Eine Tätigkeit, die angesichts der wachsenden Talibanbewegung während der neunziger Jahre für die Familie zum Problem wurde. Denn den Islamisten galt die Organisation als ungläubig. Als der Einfluß der Taliban wuchs, mußte seine Familie 1997 erneut nach Peschawar fliehen. Es gab dort eine afghanische Schule. Arian wurde gleich in die dritte Klasse eingeschult, übersprang später auch noch die fünfte Klasse. Den fehlenden Unterrichtsstoff holte er auf eigene Faust nach.

Frieden in Deutschland – doch die Heimat fehlt ihm

„Mein Vater hatte mir stets auf den Weg gegeben, du mußt lernen, lernen, das ist der beste Weg für dich in eine gute Zukunft.“ Weil die Familie wenig Geld hat, beginnt er mit zehn Jahren neben der Schule für seinen Onkel Teppiche anzufertigen. Auch Englisch bringt er sich selbst bei. Er besorgt sich indische Videofilme, übersetzt die englischen Untertitel mit Hilfe eines Wörterbuchs in seine Muttersprache. Er macht seinen Highschool-Abschluß, beginnt 2009 für die Nato-Schutztruppe zu arbeiten. Nach einer dreimonatigen Trainingszeit in der Afghanischen Nationalarmee (ANA) ist er zunächst für das belgische Kommando, dann für das deutsche tätig, dolmetscht für die Quick Reaction Forces.

„Ich habe viel Gewalt gesehen“, sagt er. Heckenschützen der Taliban, die auf die Soldaten schießen. Blutige Hinterhalt-Gefechte. 2010 wird er schließlich einem Tactical Cimic Team zugeteilt. Die Bezahlung ist gut. „Aber das ist nun vorbei“, sagt er.

„Wenn ich nicht arbeite, kann ich meine Familie nicht versorgen. Aber arbeiten darf ich in Deutschland nicht.“ Er hat mit seinen Eltern telefoniert, ihnen gesagt, daß sie über sein Vermögen frei verfügen dürfen. „Sie können mein Haus verkaufen, mein Auto, alles, um erst mal klarzukommen.“ Sein altes Tactical Cimic Team hat sich unterdessen einen neuen Dolmetscher suchen müssen. Sechs Monate blieb der. Dann ist auch er geflohen. Nach Frankfurt.

Zwar genießt Abdullah Arian den Frieden, der in Deutschland herrscht. Doch die Heimat fehlt ihm dennoch. Wären die Umstände andere, würde er sofort zurückkehren. Trotz der traumatischen Erinnerungen an Schießereien, Blut und Gewalt. Im Lager der Bundeswehr hatten sie ihn zu einer Psychologin geschickt, damit er das Erlebte besser verarbeiten könne. Die sagte ihm, er solle all die Schrecken vergessen. „Aber das werde ich niemals können.“

 

Ortskräfte

Etwa 6.000 einheimische Mitarbeiter haben bis jetzt die deutschen Soldaten in Afghanistan unterstützt. Über 700 von ihnen haben sich an die Bundeswehr gewandt, weil sie sich von Landsleuten bedroht fühlen. 274 von ihnen erhielten bisher eine sogenannte Aufnahmezusage für sich und ihre Familie in Deutschland. Diese ehemaligen Ortskräfte bekommen hier kein Asyl, sondern sie haben einen besonderen Rechtsstatus, der eigens für sie von den in Afghanistan engagierten Bundesministerien (Verteidigung, Auswärtiges Amt, Inneres und Wirtschaftliche Zusammenarbeit) geschaffen wurde. Dieser umfaßt ein unbegrenztes Aufenthaltsrecht und eine Arbeitserlaubnis.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen