© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/14 / 27. Juni 2014

Der letzte Strohhalm
Territorialreform: Frankreichs Präsident Hollande will mit einer Fusion der Regionen über seine miserable Bilanz hinwegtäuschen
Martin Schmidt

Nur auf den ersten Blick muten die Pläne für eine französische Regionalreform wie eine klassische Sommerlochdebatte an. Tatsächlich sind sie weit mehr als die regelmäßig wiederkehrenden Initiativen für eine Neugestaltung der deutschen Bundesländer. Staatspräsident François Hollande klammert sich an das Großvorhaben wie an einen Strohhalm und versucht damit über die katastrophale Wirtschaftslage hinwegzutäuschen.

Die Fusion der bislang 22 Regionen – die vier überseeischen Territorien sind ausgenommen – zu 14 größeren Einheiten bietet Einsparungspotential in zweistelliger Milliardenhöhe. Sie soll das Versprechen an die EU einlösen, bis 2017 die gewaltige Staatsverschuldung um rund 50 Milliarden Euro zu verringern. Schon Charles de Gaulle hatte sich an einer Reform der Regionen versucht, scheiterte jedoch 1969 in einem Referendum.

Republikanischer Egalitarismus als Motor

Heute entzünden sich die Gemüter vor allem an der Willkür beim Neuzuschnitt der Regionen. So soll die eigentlich vorgesehene Zusammenlegung der Bretagne mit der Region Pays de la Loire ausbleiben, während der Elyseepalast an der Fusion des Elsaß mit Lothringen, des Burgund mit der Franche-Comté, der Haute- und der Basse-Normandie, der Picardie mit Champagne-Ardenne, Centre-Poitou mit Charentes-Limousin, der Auvergne mit Rhône-Alpes sowie der Region Midi-Pyrénées mit dem Languedoc festhält. Größenunterschiede spielen offenbar keine Rolle: Einerseits bleibt die mit über zehn Millionen Einwohnern strukturell übermächtige Île-de-France um den Großraum Paris erhalten, andererseits die kleinste Region Korsika mit lediglich 250.000 Einwohnern.

Kulturgeschichtliche Gründe, die in der Bretagne und auf Korsika sprechen dürften, gelten für das Elsaß nicht: Dort könnte eine Zusammenlegung mit der Region Lothringen, die nur zu einem kleinen Teil aus dem deutsch geprägten Ost-Lothringen besteht, die Identität des Grenzlandes erheblich stören. Autonomisten wittern hinter der geplanten Fusion mit „Welsch-Lothringen“ den Versuch der Zentralregierung, die Französisierung zu forcieren. Dieser „republikanische Egalitarismus“ könnte die Förderung deutscher Mundarten, die Zweisprachigkeit und einige Sonderregelungen aus der reichsdeutschen Zeit gefährden, befürchtet Andrée Münchenbach, Obfrau der autonomistischen Partei „Unser Land“.

Gegen die Reformpläne wollen die auf der politischen Linken verorteten Autonomisten in Straßburg und in Colmar Ende Juni demonstrieren. Unterstützung könnten sie pikanterweise durch die Anhänger des traditionell antiföderalistischen Front National erhalten. Parteichefin Marine Le Pen nannte die Pläne einen „Angriff auf die Einheit der Republik“. Die unfreiwillige Allianz von Regionalisten und Zentralisten zeigt, wie umstritten Hollandes Pläne sind. Die Abschaffung der 101 Departements hat er wegen der hohen verfassungsrechtlichen Hürden bereits auf die lange Bank geschoben. Premierminister Manuel Valls kündigte im Nachrichtensender BFM-TV an, die „schwierige“ Reform weiterzuentwickeln.

Foto: Rückzugsgefechte: Die geplante Fusion mit Lothringen bedroht die ohnehin schwindende kulturelle Identität der Elsässer

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