© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/14 / 27. Juni 2014

Pankraz,
M. Abramovi´c und die Performance

Originell ist die Sache auf jeden Fall. Im feinen Kensington Park mitten in London hat eine „Langzeit-Performance“ begonnen, die bis Ende August laufen soll. Ort der Handlung ist die sogenannte Serpentinengalerie, ein vornehmer, der modernsten Kunst vorbehaltener Platz, der vom britischen Staat und von reichen Mäzenen gesponsert wird. Der Eintritt ist frei, man muß aber am Eingang Jacken, Taschen und alle elektronischen Geräte zurücklassen, Kameras, Smartphones, Handys. Darauf wird allergrößter Wert gelegt.

Bei der jetzigen Veranstaltung handelt es sich laut Ankündigung der Galerie „um die erste völlig objekt- und personenfreie Performance, die je inszeniert wurde“. Man sieht, wenn man eingetreten ist, tatsächlich nur die Performance-Künstlerin Marina Abramović (67) in einer superschlichten Mönchskutte, die in den kahlen Räumen umherwandert und manchmal stehenbleibt; setzen kann sie sich nicht, denn es gibt keine Möbel, nicht die geringste Sitzgelegenheit. Die Besucher starren die Künstlerin an, winken ihr schüchtern zu, berühren sie manchmal leicht; auf Gespräche läßt sie sich nicht ein.

„Ich werde eine Art zeitlosen Raum erschaffen, in dem Menschen Stunden an Zeit mit mir verbringen können“, erklärte sie der Presse vor Beginn ihres Auftritts, „das Museum wird leer sein, keine Kunstwerke nirgendwo. (...) Ich werde diesmal einfach alles weglassen, selbst ein Konzept.“ Immerhin hat das Projekt einen Namen: „512 Stunden“, das ist die Zeitdauer, die sie bis zum Ende des Unternehmens am 25. August in der Galerie verbringen will, sechs Stunden pro Tag, ohne Sonntag!

Marina Abramović ist nicht irgendwer, sie gehörte schon zu den Gründern der Performance-Bewegung in den sechziger Jahren und zählte immer zu deren radikaler Avantgarde. Von Anfang an deklarierte sie: „Es gibt kein Kunstwerk außer dem Künstler selbst, Kunstwerk und Künstler sind identisch!“ Aber mit jenen bequemen Absahnern der Szene, die glaubten, sich nun keine Mühe mehr geben zu müssen, die sich einfach auf den Marktplatz stellten und medienwirksam „Hurra, ich bin ein Kunstwerk“ brüllten – mit denen wollte Marina nie etwas zu tun haben.

Ihren „Events“ wohnte stets ein Moment harter Askese und innerer Einkehr inne, sie glich mehr einem Bettelmönch oder einem Buddha auf dem Lotus als einem dionysischen Dandy. So verbrachte sie im Jahre 2002 wie weiland Kafkas Hungerkünstler volle zwölf Tage in einem gläsernen Pavillon, aß nicht, sprach nicht, trank nur Mineralwasser und ging dreimal täglich vor den Augen der Besucher duschen. Und auch während ihrer großen Retrospektive 2010 im New Yorker Museum of Modern Art saß sie über Hunderte von Stunden Besuchern in strikter Schweigsamkeit gegenüber.

Vielleicht hängt das mit ihrem Lebensweg zusammen. Die heute in New York Lebende wurde in Belgrad geboren. Ihre Eltern waren während des Zweiten Weltkriegs Partisanen gegen die Deutschen, aber „nicht Tito-Partisanen, sondern Tschetniks“, wie sie zu betonen pflegt. Ihr Großvater war der Patriarch der serbisch-orthodoxen Kirche zwischen 1930 und 1937. Sie selbst betätigte sich früh als Malerin und tat sich mit dem legendären deutschen „Ereigniskünstler“ Frank Uwe Laysiepen (genannt „Ulay“) zusammen, mit dem gemeinsam sie ab 1973 in Deutschland ihre ersten „körperbezogenen Performances“ inszenierte.

Die Ehe mit Ulay hielt bis 1990, doch der Performance blieb Marina treu. Sie lag mit ihr voll im Trend, wurde hochberühmt, lehrte als Professorin an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg und hat dort unermüdlich versucht, der neuen „Gestenkunst“ einen theoretischen Hintergrund zu verschaffen. Gleichzeitig sorgte sie selbst vehement für immer neue Beispiele für diese Gestenkunst. Pankraz hat sie streckenweise sehr bewundert, genießen freilich konnte er ihre Hervorbringungen nie.

Was sollte man etwa halten von ihrem Auftritt 1997 bei der Biennale von Venedig? Damals tobten auf dem Balkan böse Kriege, und Marina reagierte darauf, indem sie jeden Tag stundenlang mit einer Bürste einen Berg frischer Rinderknochen abschrubbte und dazu Totenlieder aus ihrer Heimat sang. Sie bekam dafür am Ende den Goldenen Löwen verliehen, und Pankraz fragte sich, ob das vielleicht der eigentliche Zweck ihres letztlich doch eher komischen Herumgeschrubbes gewesen war. Künstler sind oft, ach nur allzu oft, recht dubiose Figuren, allein das gelungene Kunstwerk strahlt genuine Würde aus.

Ereigniskünstler reagieren auf solche Einwände gern mit dem Hinweis auf die modernen medial-technischen Möglichkeiten. Die Medien, sagen sie, Film, Fernsehen und Internet bewirkten ein Zusammenfallen von Kunst und Künstler ja fast automatisch; kein Künstler könne sich diesem Sog mehr entziehen. Kunst sei heute im Grunde nur noch als „Videokunst“ vorstellbar, und die Anwesenheit des kreativen Künstlers selbst sei letztlich die logische Folge der Videokunst.

Tatsächlich gibt es faktisch keine Theateraufführung und keine Kunstausstellung mehr ohne überdimensionale Videowand am besten Platz auf der Bühne oder im Ausstellungssaal. Und auf der Wand zappelt in der Regel der Künstler höchst persönlich herum, macht sich wichtig und zieht die Besucher vom Geschehen auf der Bühne oder von den Kunstwerken ab. „Das Publikum will es so.“ Frau Marina Abramović aber, eine der Urmütter der Performance, wollte und will es nicht so. Ihr sind persönliche Videoauftritte zuwider, deshalb muß man, wenn man zu ihr geht, alle Aufnahmegeräte abgeben.

Sie hält Kunst für den großen Stifter von Gemeinschaft, und diese entsteht ihrer Meinung nach als Resultat unmittelbaren, realen Zusammenseins. Wirkliche Performance zielt nicht auf Abbild und Lautentfaltung, sondern einzig auf die Herstellung emphatischen Schweigens. Nur so, sagt Marina, entstehen zeitloser Raum und raumlose Zeit. Wie gesagt, an Originalität fehlt es zur Zeit im Londoner Kensington Park nicht.

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