© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/14 / 27. Juni 2014

Multikulturalismus am Beispiel Kanadas
Die Vergötzung des Fremden
Ricardo Duchesne

Die mit dem Zuwanderungsgesetz von 1910 begründete und in seiner revidierten Fassung von 1952 ausgeweitete „White Canada“-Politik war mit der Verabschiedung neuer, nicht ethnisch definierter Zulassungskriterien im Jahr 1967 zu Ende. Heute wird die kanadische Einwanderungspolitik vor 1967 in den Mainstream-Medien ebenso wie in der akademischen Welt mit Vorliebe als „rassistisch“ und „diskriminierend“ verteufelt. Tatsächlich handelte es sich dabei um den durchaus rationalen Versuch, den Primat der europäischen Völker zu bewahren, auf die die Gründung Kanadas zurückzuführen ist. Noch 1971 stammten über 95 Prozent der kanadischen Bevölkerung von europäischen Einwanderern ab.

Bevor der Multikulturalismus zur offiziellen Doktrin wurde, war es für die Kanadier unvorstellbar, daß andere Völker – die keinerlei Anteil an der Besiedlung und Urbarmachung des Landes oder an der Schaffung der Institutionen und Infrastruktur über Jahrhunderte hinweg hatten – mir nichts, dir nichts massenhaft ins Land strömen und einen gleichberechtigten Anspruch anmelden könnten.

Für diese Reaktion gab es gute Gründe. Die große Mehrheit der Kanadier, die das Zuwanderungsgesetz von 1952 unterstützten, waren keine Rassisten; sie waren lediglich ethnozentrisch. Ihre Präferenz für die eigenen ethnischen Traditionen war natürlich und normal und änderte nichts an der Überzeugung, daß jeder einzelne kanadische Bürger vor dem Gesetz gleich behandelt werden sollte und nicht aufgrund seiner Rasse, nationalen Herkunft oder Religion diskriminiert werden durfte.

Im heutigen Kanada hingegen wird der Ethnozentrismus der weißen Mehrheit als eine Haltung verachtet, die den Bestrebungen zuwiderläuft, einen multi­ethnischen Staat aufzubauen. Europäischstämmige Kanadier, die sich ihren jahrtausendealten Kulturen weiterhin stark verbunden fühlen, legen angeblich „irrationale Ängste“ an den Tag. Neue wissenschaftliche Studien haben das Gegenteil bewiesen: Ethnozentrismus ist eine gesunde und nützliche Einschätzung der eigenen ethnischen Identität und Interessen, die mit der Evolutionslehre und einer hochentwickelten Kultur im Einklang steht.

Wie kam es also, daß die europäisch-stämmigen Kanadier sich die Vorstellung zu eigen gemacht haben, eine Präferenz für ihre eigene Ethnie und Kultur sei fremdenfeindlich, während sämtliche nichteuropäischen ethnischen Gruppen das Recht haben, in Kanada an ihrer jeweiligen Kultur festzuhalten? Hier ist zu vermerken, daß es sich bei der rücksichtslosen Förderung von „Vielfalt“ und Massenzuwanderung trotz einiger Variationen um ein Phänomen handelt, das seit den 1960er Jahren in der gesamten westlichen Welt zu beobachten ist. 1965 unterzeichnete US-Präsident Lyndon B. Johnson das Zuwanderungsgesetz, das zu einer jahrzehntelang anhaltenden enormen Zuwanderungswelle aus Mexiko und Asien führte. Acht Jahre später beendete auch Australien seine „White Australia“-Politik, woraufhin asiatische Einwanderer ins Land fluteten.

Auch die westeuropäischen Staaten haben erleben müssen, wie ihre Kulturen von Zuwanderung überschwemmt wurden. An diesen Veränderungen war nicht die wirtschaftliche Globalisierung schuld. In den mittlerweile hochentwickelten asiatischen Volkswirtschaften belief sich der Anteil der Zuwanderer trotz der zunehmenden Bedeutung von Außenhandel, Investitions- und Finanzsektor in den vergangenen zwanzig Jahren auf 1,4 bis 1,6 Prozent, obwohl die Geburtenraten weit unterhalb des zum Erhalt der Bevölkerung notwendigen Niveaus liegen.

Allein Asiaten, Schwarzen und Latinos ist es gestattet, in Kanada die eigenen ethnischen Wurzeln und die eigene Kultur zu bewahren. Die Identität der weißen Kanadier soll sich auf Toleranz, pluralistische Werte, Demokratie und „Vielfalt“ beschränken.

Schuld sind vielmehr die Zwillings­ideologien des Universalismus und Egalitarismus. Unter egalitärem Universalismus soll hier der Gedanke verstanden werden, daß alle Menschen im wesentlichen gleich und unsere Ethnien und kulturellen Erbgüter entweder nur oberflächlicher Dekor seien oder sich durch entsprechende Einweisung in die „universellen Werte“ der Neuzeit wie zivilgesellschaftliche Gleichberechtigung, Toleranz, wohlhabende Bürgerlichkeit und demokratische Teilhabe mühelos transformieren ließen. Die liberalen westlichen Eliten der Nachkriegszeit waren überzeugt, daß diese Werte die höchsten Ideale der Menschheit darstellten, und hielten es für ihre moralische Verpflichtung, sie in der ganzen Welt zu verbreiten. Nur unter der Herrschaft dieser Werte, so glaubten sie, lasse sich die Menschheit vereinigen und ein Zusammenleben und Vermischen unterschiedlicher ethnischer Gruppen im gleichen Land in einer Atmosphäre liberalen Wohlstands und interkulturellen Dialogs gewährleisten.

Diese Vorliebe für eine nicht-ethnozentrisch definierte Menschheit, die auf eine so friedliche wie unrealistische Zukunft projiziert wurde, ging mit einer wachsenden Abneigung und Intoleranz gegenüber der realen europäisch-stämmigen Bevölkerung Kanadas einher. 1947 warnte Ministerpräsident Mackenzie King zu Recht: „Das kanadische Volk will nicht, daß sich der Charakter unserer Bevölkerung aufgrund einer Massenzuwanderung grundlegend verändert.“ Doch die liberalen Eliten waren fest entschlossen, die Seelen der kanadischen Normalbürger umzuprogrammieren.

Kurz nach der offiziellen Etablierung des Multikulturalismus durch den liberalen Ministerpräsidenten Pierre Trudeau im Jahr 1971 wurden zahlreiche staatliche Programme zur Förderung eines multikulturellen Kanada ins Leben gerufen. Im Juni 1984 erklärte der damalige Parteichef der Konservativen, Brian Mulroney, vor einem jubelnden Publikum, seine Partei wolle nicht als „Partei der weißen angelsächsischen Protestanten“ abgestempelt werden, und versprach, „den Rassismus überall auszumerzen, wo er sein häßliches Antlitz zeigt“.

Dieses Versprechen richtete sich ausschließlich gegen die Briten und ihr kulturelles Erbe in Kanada. Die französischstämmigen Kanadier in Québec hatten sich seit den sechziger Jahren erfolgreich als unterdrückte Minderheit mit einer eigenen legitimen Identität dargestellt, die für einen neuen verfassungsrechtlichen Status gegenüber dem anglozentrischen Kanada kämpfte. Die Aufforderung, jegliche Vorstellung einer in ethnischen Banden, Tradition und Heimat gründenden Kultur aufzugeben, galt einzig den Briten und mit ihnen den europäischen Zuwanderern, die sich im englisch geprägten Kanada assimiliert hatten. Die Québecois und die kanadischen Ureinwohner hingegen durften an einer ethnisch geprägten Identität festhalten, die tief in ihrer Heimaterde, ihrer Geschichte und ihren Bräuchen und Traditionen wurzelte. Nur den englisch- und europäischstämmigen Kanadiern war es untersagt, sich ihrer geographischen und kulturellen Herkunft verbunden zu fühlen und ihre Ethnie an Kanada zu koppeln.

Aus Sicht der Anhänger des Multikulturalismus durfte es keine Verknüpfung zwischen kanadischer Identität und britischen oder europäischen Ursprüngen geben. Von nun an sollte die Identität der Europäisch-Kanadier sich auf multikulturelle Toleranz, pluralistische Werte, Demokratie und „Vielfalt“ beschränken. Da diese Werte jedoch angeblich „universell“ sind, wurden sie nicht als spezifisch britisch oder europäisch wahrgenommen.

Ganz im Gegenteil wurden sie aber zur Bekämpfung jeglicher Regung eines britischen Identitätsgefühls verwendet und dienten dem Schutz und der Förderung des ethnischen Stolzes der Nicht-europäer. Allein Asiaten, Schwarzen und Latinos war es gestattet, in einem multikulturellen Kanada die eigenen ethnischen Wurzeln und die eigene Kultur zu bewahren. Bis heute behaupten mediale Meinungsmacher und selbstgefällige Akademiker regelmäßig, Einwanderer, die aufgrund ihrer äußeren Erscheinung als solche zu erkennen seien, seien rassistischen Anfeindungen ausgesetzt, weshalb „ein wesentliches Ziel des Multikulturalismus darin bestehen muß, den Rassismus auszumerzen“.

Daß solche Zuwanderer aus illiberalen, nach Rassenzugehörigkeit gegliederten, rückständigen Kulturen kommen, daß die Rechte des einzelnen und die Antidiskriminierungsgesetze ein einzigartiges Vermächtnis der Europäer sind und daß die Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen „sichtbarer“ Einwanderer sehr viel größer sind als seitens der Europäisch-Kanadier, wird dabei unterschlagen. Es geht einzig und allein darum, den Rassismus als solchen untrennbar mit dem Ethnozentrismus der britisch- bzw. europäischstämmigen Kanadier zu verknüpfen, so daß die Ausmerzung des Rassismus die Abschaffung der britischen und europäischen Identität erfordere.

Die vielzitierte Behauptung, Kanada stelle das „erfolgreichste“ Modell einer multikulturellen Integrationspolitik dar, wird durch die Wirtschaftsdaten nicht bestätigt. Die Massenzuwanderung hat für die Mehrzahl der gebürtigen Kanadier keine Vorteile gebracht.

Die Beendigung von Massenzuwanderung und Multikulturalismus im Westen wäre indes kein Akt der Diskriminierung und des Rassismus. Tatsächlich verhält es sich umgekehrt: Ebendiese Politik hat zur Diskriminierung und Enteignung der britischen und europäischen Volksgruppen geführt, die seit Jahrhunderten in Kanada leben. Ethno­zentrismus bedeutet Loyalität und Verpflichtung gegenüber der eigenen Gruppe; er schließt nicht den Haß auf andere Gruppen ein. Die Multikulturalisten sind es, die die Politik mit einer intoleranten Ideologie durchsetzt haben, die jeden, der sich weigert, in den Multikulti-Chor einzustimmen, als fremdenfeindlichen Außenseiter abstempeln.

Nicht einmal die vermeintlichen wirtschaftlichen Vorteile der Massenzuwanderung darf man in Zweifel ziehen, ohne sich „fremdenfeindlicher Gefühle“ verdächtig zu machen. Die vielzitierte Behauptung, Kanada stelle das „erfolgreichste“ Modell einer multikulturellen Integrationspolitik dar, wird durch die Wirtschaftsdaten nicht bestätigt. Eine 2009 veröffentlichte Studie des renommierten Fraser Institute zu den Auswirkungen der Massenzuwanderung auf den Lebensstandard und die Gesellschaft in Kanada fand heraus, daß

• allein im Jahr 2002 die Ausgaben für Sozialleistungen für die 2,5 Millionen Zuwanderer, die zwischen 1990 und 2002 ins Land kamen, um 18,3 Milliarden Dollar über den von ihnen gezahlten Steuern lagen;

• jeder Zuwanderer, der seit 1985 nach Kanada gekommen war, den kanadischen Steuerzahler durchschnittlich 6.000 Dollar gekostet hatte (insgesamt liegen die Kosten für alle Zuwanderer bei rund 25 Milliarden Dollar im Jahr);

• achtzig Prozent aller Neuzuwanderer nicht aufgrund ihrer Bildung und Qualifikationen ausgewählt werden;

• die Geringqualifizierten unter den gebürtigen Kanadiern unter negativen Auswirkungen in Gestalt von stagnierenden Löhnen und Gehältern und steigender Arbeitslosigkeit aufgrund der zunehmenden Konkurrenz durch zugewanderte Billigarbeitskräfte leiden.

Kanada wird zunehmend von einer Vielfalt an Kulturen überrollt. Im Jahr 2011 war jeder fünfte Kanadier ausländischer Herkunft; 70,2 Prozent dieser im Ausland Geborenen waren keine englischen oder französischen Muttersprachler. Die Erwartung, daß der kanadische Normalverbraucher von der Massenzuwanderung profitieren werde, hat sich als falsch erwiesen. Die Kaufkraft kanadischer Arbeitskräfte stagniert seit 1980. Genauer gesagt sind die Einkommen der Besserverdienenden gestiegen, während die der Geringverdiener gesunken sind.

Da diese Trends zeitlich mit einer deutlichen Zunahme der Anzahl neu ins Land gekommener Zuwanderer zusammenfielen – seit den frühen 1990er Jahren waren es jährlich im Durchschnitt 250.000 –, läßt sich daraus ablesen, daß die Massenzuwanderung für die Mehrzahl der gebürtigen Kanadier keine Vorteile gebracht hat. Ihre hauptsächlichen Nutznießer waren Immobilienspekulanten, Anwälte, die sich auf Einwanderungsfragen spezialisiert haben, Unternehmen, die Billigarbeitskräfte anheuern, Multikulti-Aktivisten, ethnische Interessengruppen – und wirklichkeitsferne Akademiker.

 

Prof. Dr. Ricardo Duchesne, geboren in Puerto Rico, lehrt an der kanadischen Universität New Brunswick. In seinen Arbeiten setzt er sich kritisch mit dem herrschenden Multikulturalismus auseinander. Außer über dreißig Artikel in Fachzeitschriften publizierte er 2011 sein vielfach gelobtes Werk „The Uniqueness of Western Civilization“ („Die Einzigartigkeit der westlichen Zivilisation“) im renommierten Wissenschaftsverlag Brill Academics (JF 8/14).

Foto: Eine Hauptstraße in der „Chinatown“ von Toronto, Kanada: Die Aufforderung, jegliche Vorstellung einer in ethnischen Banden, Tradition und Heimat gründenden Kultur aufzugeben, galt einzig den Briten und anderen europäischen Ureinwanderern.

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