© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/14 / 27. Juni 2014

Ein gefallener Friedensapostel
Biographie: Der französische Historiker Jean-Paul Bled über Franz Ferdinand von Österreich-Este
Sebastian Hennig

Blutig begann der Weltkrieg vor hundert Jahren mit einem doppelten Menschenopfer in Sarajevo. Angesichts der Millionen, die dann in den Untergang der alten Ordnung hineingerissen wurden, verblaßt das grausame Ende des fürstlichen Paares etwas. Doch es zeigt sich auch im Untergang des österreichisch-ungarischen Thronfolgers noch die symbolische Wirkkraft der Monarchie.

Franz Ferdinand gelangte durch Widerstände, ja Widerwärtigkeiten zu seinem familiären Glück. Für die morganatische Ehe mit Sophie, Gräfin von Chotek, überwarf sich der Erzherzog Franz Ferdinand mit langjährigen Vertrauten und Urfreunden. Auf den Tag genau vierzehn Jahre vor dem Attentat hatte Franz Ferdinand am 28. Juni 1900 den vom Kaiser geforderten Renunziationseid geleistet. Vor allen volljährigen männlichen Mitgliedern des Kaiserhauses, dem hohen Klerus, den Ministerräten von Österreich und Ungarn sowie den Präsidenten der Abgeordneten- und Herrenhäuser verzichtete er damit auf das Recht der Thronfolge für alle aus dieser Verbindung zu erwartenden Kinder. An der Eheschließung auf Schloß Reichstädt in Böhmen nahmen aus dem Erzhause nur Franz Ferdinands Stiefmutter, Erzherzogin Maria Theresia mit zwei Töchtern teil. Seine Gattin wurde zur „Fürstin von Hohenberg“ erhoben. Die repräsentative Kraft des Adels erweist sich zum letztenmal im Untergang: Die Ermordung der Sophie von Hohenberg und des Franz Ferdinand von Österreich-Este bewirkte auf einen Schlag die erste Schar von Waisenkinder dieses mit dem Tod ihrer Eltern hereinbrechenden Kriegs.

Franz Ferdinand war ein tüchtiger junger Mann, der einiges auf sich nehmen konnte und wollte. Auf Kurreisen, deren Absicht sorgfältig verhehlt wurde, gelang es ihm, das schwere Krankheitserbe einer tuberkulösen Mutter abzuschütteln. Als Neunjähriger schon ging er auf Pirsch, unternahm später Großwildjagden in Afrika. Über eine Viertelmillion Kreaturen hat er in seinem Leben zur Strecke gebracht. Den Titel des alten italienischen Adelsgeschlecht d’Este erhielt er unter der Bedingung, binnen Jahresfrist die italienische Sprache zu erlernen, was ihm sehr schwer fiel. Zudem vermochte er auch nie, ein menschliches Verhältnis zu den lombardischen Untertanen zu entwickeln.

Aber auch die Wiener standen ihm fern und lästerten über seine einfache und fügsame Frau. Karl Kraus faßte es zusammen in der Feststellung: „Er war kein Grüßer.“ Franz Ferdinand bildet eine Trias des Mißgeschicks mit dem einzigen Sohn Kaiser Franz Josephs I. und Selbstmörder Rudolf, mit dem er befreundet war, und dem späteren Kaiser Karl I., mit dem die Dynastie enden sollte. Dabei war er ein hellwacher politischer Kopf im besten Sinne des Wortes. Eine neue Biographie aus der Feder des Professors für Neuere österreichische und deutsche Geschichte an der Sorbonne, Jean-Paul Bled, entwirft ein gerechtes Porträt des österreichisch-ungarischen Thronfolgers. Der Eindruck verfestigt sich dabei, daß dem Anschlag im Juni 1914 gerade jener Mann zum Opfer fiel, der befähigt und willens gewesen wäre, einen daraus folgenden Konflikt geschickt zu steuern. Er wollte um jeden Preis den Krieg mit Serbien vermeiden, da er als dessen Folge voraussah, daß die Kaiser von Österreich und Rußland sich gegenseitig vom Thron stoßen würden, um der Revolution den Weg freizugeben.

Er hatte den Kriegsminister, der dieses Namens wert war, Conrad von Hötzendorf gefördert aber zugleich auch gezügelt. Als letzteres nötiger denn je gewesen wäre, konnte er paradoxerweise nicht mehr eingreifen. Auf dem Gemälde im „Sarajevo-Saal“ des Heeresgeschichtlichen Museums tritt Franz Ferdinand dem Betrachter als Kaiser entgegen. Der Politik dieses Kaisers Ferdinand II. in spe haftete zeitweilig Züge einer Schattenregierung an. „Das Engagement für den Frieden stellte den Thronfolger also in eine Linie mit dem Kaiser. Es gab so wenige Übereinstimmungen zwischen den beiden Männern, daß diese – wo es noch dazu um so viel ging – hervorgehoben werden muß“, schreibt Bled in dem Kapitel „Ein Friedensapostel“. Zu der klugen Politik der Interessen zwischen den slawischen Völkern der Monarchie und dem ungarischen Patriotismus meint der Autor: „In seiner Einstellung lag nicht ein Funken Ideologie.“ Für den Ausbau der k.u.k.-Flotte hatte der technikbegeisterte Erzherzog vergleichbare Bedeutung wie Admiral Tirpitz im Deutschen Reich.

Das Unvorstellbare trat ein, als der kräftige Mann noch vor seinem greisenhaften Onkel Franz Joseph I. eines gewaltsamen Todes in Sarajevo sterben mußte. Andernfalls wäre dieser Kaiser wohl zum Schöpfer eines habsburgischen Jugoslawien geworden und hätte dem serbischen Imperialismus damit den Wind aus den Segeln genommen. Kritiker haben ihm allerdings zu Recht vorgeworfen, daß seine Vision des Vielvölkerstaates zu konturenlos geblieben sei. Letztlich hat der nach 1914 entfachte Separatismus der Slawen, die später durch die Naivität von US-Präsident Wilson und seiner Vision der Selbstbestimmung der Völker in einer Region ethnischer Gemengelagen befördert wurde, die östliche Mitte Europas auf lange Sicht ins Chaos gestürzt.

In Böhmen und Bosnien wird er noch heute verehrt

Es ist die Ironie der Geschichte, daß Franz Ferdinand gerade dort zu einer populären Gestalt geworden ist. In Sarajevo sind Kaffeehäuser nach ihm benannt. In Böhmen wird er für die aufrichtige Liebe zu einer Tochter des Landes geliebt. Zum Gedenken an „František Ferdinand d‘Este“ und seine Žofie wurde die vorbildliche tschechische Homepage www.franzferdinand.cz eingerichtet. Weniger gut ist es freilich um sein Andenken in Ungarn bestellt, da der Thronfolger bestrebt war, die slawischen Stämme des Habsburgerreiches vor dem ungarischen Chauvinismus ebenso wie vor der italienischen Hybris und dem panslawistischen Imperialismus Rußlands in Schutz zu nehmen.

Jean-Paul Bled: Franz Ferdinand, Der eigensinnige Thronfolger, Böhlau Verlag, Wien 2013, gebunden, 322 Seiten, Abbildungen, 35 Euro

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