© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/14 / 27. Juni 2014

Frisch gepresst

Danzig. Als Mittfünfziger ging der 1937 geborene Dieter Schenk, Beamter beim Bundeskriminalamt, in Frühpension, „wegen unüberbrückbarer Differenzen in Menschenrechtsfragen“. Seitdem betätigt er sich als Amateurhistoriker, der, neben einer Polemik über „Die braunen Wurzeln des BKA“ (2003), zur deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte zwischen 1918 und 1945 publizierte. Dies trug ihm eine Lodzer Honorarprofessur und sogar die Ehrenbürgerschaft Danzigs ein. Polnische Auszeichnungen, derer sich Schenk auch mit seinem jüngsten Erzeugnis zur politischen Entwicklung der „Freien Stadt“ nach 1930 würdig erweist. Denn erzählt wird die Geschichte des nach Versailles geschaffenen Zwergstaats aus der Perspektive der seit der Zwischenkriegszeit manifesten, „volksdemokratisch“ tradierten und bis heute virulenten polnischen Geschichtsideologie von den 1945 „wiedergewonnenen Gebieten“ im Osten Deutschlands. Hinzu kommt noch eine kräftige Prise BRD-„Erinnerungspolitik“, der zufolge nicht nur die Danziger an Vertreibung und Heimatverlust selbst „schuld“ gewesen seien, da sie die Hitler-Bewegung unterstützt hätten, was Schenk in diesem vortrefflich ausgestatteten Buch fleißig zu dokumentieren versucht. (wm)

Dieter Schenk: Danzig 1930–1945. Das Ende einer Freien Stadt. Ch. Links Verlag, Berlin 2013, gebunden, 217 Seiten, Abbildungen, 29,90 Euro

 

Ghettowelten. In der Forschung über die letzten Stadien der NS-Judenpolitik, die nach dem Polenfeldzug 1939 beginnende Ghettoisierung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung Osteuropas, macht sich seit kurzem die Tendenz bemerkbar, aus dem Bannkreis reiner „Opfergeschichte“ zu treten. Statt dessen wollen Historiker, auch motiviert durch erinnerungspolitisch aktive Verbände in Israel und den USA, aufzeigen, wie sich in der vielgestaltigen, unübersichtlichen und bislang kaum erforschten „Lebenswelt Ghetto“ Formen selbstbestimmter Existenz aufrechterhalten ließen. Auf Gesellschaft und Kultur des Ghettos, einschließlich der sozialen Organisation und der sich noch unter Bedingungen extremer Mangelwirtschaft formierenden sozialen Schichtung, konzentrieren sich daher die Pionierstudien eines Sammelbandes, die jüdischen Alltag unter dem Druck deutscher Okkupation vom Warthegau bis in die Ukraine hinein aufzuarbeiten versuchen. (ob)

Imke Hansen (Hrsg.): Lebenswelt Ghetto. Alltag und soziale Umwelt während der nationalsozialistischen Verfolgung. Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2014, gebunden, 388 Seiten, 34 Euro

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