© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/14 / 27. Juni 2014

Unter dem Deckmantel des Tierschutzes
Appell an niedrige Instinkte: Hetzkampagne gegen einen Neurobiologen
Dieter Menke

Der Neurobiologe Andreas Kreiter hat die Zulässigkeit seiner Experimente mit Rhesusaffen höchstrichterlich bestätigt bekommen. Nach einem Marathon, der im Dezember 2008 vor dem Verwaltungsgericht Bremen startete und im Januar 2014 vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig mit einem klaren Sieg für ihn endete. Das Urteil zugunsten des Bremer Zoophysiologen fand wenig öffentliche Resonanz. Nur Alison Abbott, Europa-Korrespondentin von Nature, würdigte Kreiters Prozeßerfolg als Befreiungsschlag für europäische Primatenforscher, die einem seit Jahren sich steigernden Druck militanter Tierschützer und ihnen willig folgender Politiker ausgesetzt seien. Aus aktuellem Anlaß ist Abbotts Artikel (Nature Nr. 506 vom 6. Februar 2014) nun im Juni-Heft von Spektrum der Wissenschaft auch auf deutsch veröffentlicht.

Schmähschriften, anonyme Briefe, Greifkommandos

Diesen Anlaß lieferten Mitte April ganzseitige Anzeigen in FAZ, Zeit, Tagesspiegel, taz und Weser-Kurier, die unter dem Rubrum „Kreiter macht eiskalt weiter“ den Hirnforscher in einer Weise an den Pranger stellten, die in der „Nachkriegsgeschichte der deutschen Wissenschaft“ ohne Beispiel sei, wie Michael Hartmer, Geschäftsführer des Deutschen Hochschulverbandes (DHV), voller Abscheu beklagt (Forschung & Lehre, 6/2014). Das „Gutmenschentum“, im Gewand des in Berlin residierenden Vereins „Tierschutzgegner Bundesrepublik Deutschland“ agierend, spreche in dieser Anzeige „bewußt niedrige Instinkte“ an und bestreite Kreiters, der als „Tierexperimentator“ ein „Wesen besonderer Art“ vertrete, die man „nicht leichtfertig Menschen nennen sollte“, Menschsein und Menschenwürde. Die ihren „unbändigen blanken Haß“ austobende Unterstützerszene für diese „öffentliche Diffamierung“, die Hartmer in den Internetforen in ihrer „ganzen Widerwärtigkeit“ nur mit „Grusel und Ekel“ zur Kenntnis nimmt, übertrumpfe die moralisch hochgerüsteten Organisatoren der Hetzkampagne sogar noch beim „Absprechen der Menschenwürde“.

Für Kreiter, Schüler des Neurophysiologen Wolf Singer (Max-Planck-Institut für Hirnforschung Frankfurt), sind solche Jagdszenen nichts Neues. Bald nachdem er 1996 auf einen Bremer Lehrstuhl für Theoretische Neurobiologe berufen wurde, empfingen ihn Wandparolen wie „Ermordet Kreiter“. In seinem Wohnumfeld kursierten Flugblätter mit detaillierten Anweisungen zum Telefonterror, Pamphlete gegen den „Affenfolterer“ und, als früher Vorläufer des geschätzte 400.000 Euro teuren April-Feldzuges, eine im Stern veröffentlichte Denunziation, die den Forscher als „krank“ verunglimpfte. Im November 1997 rottete sich ein Mob von 15 Personen zusammen, drang unter dem Schlachtruf „Schnappt euch den Kreiter“ bis ins Institut vor und scheiterte nur an einer Sicherheitstür. Kurz zuvor erreichte Frau Kreiter, soeben mit neugeborenen Zwillingen aus dem Krankenhaus zurück, ein anonymer Brief, der ihr und ihrem Ehemann Folter und Tod androhte. Danach stand der Professor unter Polizeischutz.

Trotzdem gaben Gruppen wie „Aktion Tierbefreiung Bremen“ nicht auf. Es fiel ihnen leicht, die rot-grün dominierte Landespolitik als Büttel für ihre menschenverachtenden Attacken einzuspannen. Das Kesseltreiben führte 2007 zum rechtswidrigen Beschluß einer Allparteienkoalition der Bremer Bürgerschaft, aus der Affenforschung auszusteigen. Lehrstuhl und Versuchstiere wollte man ans Primatenzentrum Göttingen „abgeben“. 2008 lehnte die Bremer Gesundheitsbehörde daher Kreiters Fortsetzungsantrag für eine neue Versuchsreihe ab und trieb den Wissenschaftler auf dem Instanzenweg bis nach Leipzig.

Primatenforscher wandern nach Asien ab

Die Entscheidung habe sein Vertrauen in das deutsche Rechtssystem „in Teilen wiederhergestellt“, kommentiert Kreiter das Urteil. „Nichts desgleichen“ lasse sich von der Politik und den „opportunistischen Medien“ sagen (Forschung & Lehre, 6/2014). „Essentielle mittel- und langfristige Ziele der Gesellschaft“, die nur mit wissenschaftlicher Hilfe erreichbar seien, könnten gegen „brutale“ Randgruppen kaum noch durchgesetzt werden. Fassungslos fügt Hartmer dieser Diagnose den Hinweis bei, daß ethische Standards gegen aggressive „Gutmenschen“ auch bei FAZ und Zeit nicht mehr verteidigt würden, „führenden Meinungsmachern mit tiefer Verwurzelung in der Klientel des Bildungsbürgertums“.

Doch vielleicht haben die Feinde der Wissenschaftsfreiheit mit ihren Anzeigen vom April den Zenit überschritten. Die Universität Bremen solidarisierte sich mit Kreiter und stellte Strafanzeige. Der Hochschulverband sagte ihm vorsorglich Prozeßkostenhilfe zu, die „Qualitätspresse“ bedauert inzwischen die Anzeigenannahme und schließt einen Wiederholungsfall aus.

Ob dies den schweren Stand der Primatenforschung in Europa verbessert, scheint für Alison Abbott indes nicht entschieden. Anfang 2013 hätten alle EU-Staaten eine Brüsseler Richtlinie zu Tierversuchen umsetzen müssen, um die Grundlagenforschung voranzutreiben, die zu neuen Therapien bei Schlaganfall, Demenz, Diabetes und zahlreichen Suchtkrankheiten führen soll. Daran arbeitet auch Andreas Kreiter, der an Makaken die neuronalen Mechanismen komplexer kognitiver Leistungen wie visueller Wahrnehmung, Aufmerksamkeit und Gedächtnis erforscht.

Die unter dem Druck von Tierversuchsgegnern in manchen Ländern verzögerte Translation der EU-Richtlinie oder ihre rechtswidrige Verschärfung wie in Italien und bald wohl auch in Belgien beweist für Abbott, daß Kreiters Leipziger Urteil nur ein Punktsieg ist. Denn mittlerweile verlegen viele europäische Wissenschaftler ihre Primatenstudien in asiatische Labore, wo in Singapur oder in China keineswegs ein niedrigeres Niveau der Überwachung und des Tierwohls herrsche, wo sie aber von öffentlicher Diskriminierung verschont würden und auch nicht um ihre körperliche Unversehrtheit fürchten müßten.

Foto: Menschenwürde nur für Affen?: Neurobiologe Andreas Kreiter – hier 1998 bei der Vorbereitung eines neuen Versuchs im Labor an der Universität Bremen – forscht über die Funktionsweise des Gehirns von Makaken (u.). Die von ihm geleitete Abteilung Theoretische Neurobiologie gilt als Aushängeschild der Exzellenz-Uni. Seit Beginn der Experimente sehen sich Kreiter und seine Familie von militanten Tierschützern verfolgt, bedroht und diffamiert

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