© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/14 / 27. Juni 2014

Knapp daneben
Wer ißt, macht sich schuldig
Karl Heinzen

Bislang hatte die britische Autorin Jeanette Winterson eine Bilderbuchkarriere vorzuweisen. In ihren Romanen verstand sie es immer wieder, aktuelle Modethemen so aufzubereiten, daß ihre Leser glaubten, sie hätten es mit zeitlosen Fragestellungen zu tun. Dafür hat sie zahlreiche Literaturpreise eingeheimst. Da sie auch fernsehtaugliche Stoffe produzierte, erreichte sie ein großes Publikum. Einfühlsam gab sie suchenden Frauen Orientierungshilfe, auch wenn diese ihren lesbischen Lebensstil nicht teilten. Nebenbei erntete sie mit ihrem Bioladen in East London Sympathien.

Ausgerechnet ihre Naturverbundenheit ist Winterson aber nun zum Verhängnis geworden. Unablässig machten sich Kaninchen über ihren Garten her und fraßen die Petersilie kahl. Die Strafe, die die Natur für solche Vergehen vorsieht, folgte auf dem Fuß. Wer frißt, muß damit rechnen, selbst gefressen zu werden. Winterson fing einen der mutmaßlichen Täter und bereitete aus ihm ein appetitliches Mahl.

Den feingewürzten Kaninchenbraten führte Winterson ihrer Twitter-Gemeinde vor. Das gab Spektakel!

Den feingewürzten Braten führte sie genüßlich ihrer Twitter-Gemeinde vor. Angewidert von so viel Sadismus und voller Trauer um das Kaninchen schlugen in dieser jedoch die Wellen der Empörung hoch. Mit Bildern geschundener Pflanzen aus ihrem Garten versuchte Winterson zwar noch, um Verständnis für ihre Vergeltungsmaßnahme zu werben. Es war jedoch nichts mehr zu machen. Ihre Reputation ist dahin.

Tatsächlich muß sich Winterson den Vorwurf gefallen lassen, die Schuld ihres Opfers nicht zweifelsfrei nachgewiesen zu haben. Vielleicht war das Kaninchen ja nur zufällig in der Gegend, als es in ihre Fänge geriet. Darüber hinaus hat sie ihre ahnungslose Katze, der sie die Innereien des Kaninchens gönnte, zur Mittäterin gemacht. Vor allem aber scheint sie nicht begriffen zu haben, was wahre Liebe zur Natur bedeutet. Es gilt eben nicht, deren vermeintliche Gesetze zu akzeptieren, sondern gegen die diesen innewohnende Grausamkeit zu rebellieren. Es mag ja sein, daß Menschen Pflanzen und Tiere essen müssen, um zu überleben. Die Schuld, die sie dadurch auf sich laden, sollten sie aber wenigstens nicht bestreiten.

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