© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/14 / 04. Juli 2014

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Lange Leitung
Marcus Schmidt

In kaum einem anderen Land außerhalb der Vereinigten Staaten haben die Enthüllungen Edward Snowdens für mehr Aufregung gesorgt als in Deutschland. Die parlamentarische Aufklärung der Ausspäh-Affäre erreicht in dieser Woche mit der Zeugenvernehmung des früheren NSA-Mitarbeiters Thomas Drake durch den Untersuchungsausschuß des Bundestages einen ersten Höhepunkt.

Um so erstaunlicher ist es, daß die Enthüllungen Snowdens in Berlin bislang offenbar kaum zu Konsequenzen geführt haben – abgesehen von der Beschaffung vermeintlich abhörsicherer Krypto-Handys für die Bundesregierung, die mittlerweile von der NSA auch schon wieder geknackt worden sein sollen.

Eines der ersten Dokumente, das Snowden nach seiner Flucht nach Hongkong Anfang Juni 2013 den Reportern Glenn Greenwald, Laura Poitras Ewen MacAskill präsentierte, war ein Gerichtsbeschluß, der den amerikanischen Telefonkonzern Verizon verpflichtete, sämtliche Verbindungsdaten an die NSA weiterzureichen.

Trotz dieser Enthüllungen aus dem vergangenen Jahr wird ein Teil des Internetverkehrs des Bundestages und der Bundesregierung bis heute über Verizon abgewickelt. Aufgedeckt hat dies in der vergangenen Woche die Internetseite netzpolitik.org. Dem Journalisten Daniel Lücking war aufgefallen, daß Abgeordnete und Mitarbeiter des Bundestages Internetadressen des amerikanischen Anbieters Verizon zugewiesen bekommen. Angesichts der Verbindung zwischen Verizon und NSA präsentiere der Bundestag damit die eigentlich schützenswerte Kommunikation den fremden Geheimdiensten quasi auf dem Silbertablett. „Die Kooperation mit Verizon und auch anderen Anbietern, die in ihren Heimatländern einen direkten Zugriff der Dienste NSA, GCHQ und anderer zulassen müssen, zeigt, daß die zuständigen Ministerien sich der Auswirkungen der NSA-Affäre nicht bewußt sind“, sagte Lücking.

Das Innenministerium bestätigte in der vergangenen Woche, daß immer noch Dienstleistungen des amerikanischen Telefonanbieters in Anspruch genommen werden. Die Bundesregierung habe allerdings mittlerweile von einer 2010 vertraglich vereinbarten Klausel Gebrauch gemacht, durch die ein Anbieterwechsel möglich sei. Es werde geplant, daß künftig die Telekom für den Internetverkehr der Bundesregierung zuständig ist, teilte das Ministerium mit. Allerdings seien noch keine Verträge geschlossen worden. „Man möchte prioritär mit deutschen Unternehmen zusammenarbeiten, soweit das möglich ist“, sagte ein Sprecher des Innenministeriums mit Blick auf die NSA-Affäre.Auch der Bundestag reagierte nach dem Bericht prompt. „Wir wollen jetzt schnellstmöglich die Dienstleistungen von Verizon nicht mehr in Anspruch nehmen“, sagte Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linkspartei) der dpa.

Angesichts der plötzlichen Betriebsamkeit stellen sich einige Experten allerdings die Frage, warum dies alles nicht bereits vor einem Jahr passiert ist.

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