© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/14 / 04. Juli 2014

Wir sind dann mal weg ...
... und kommen wieder: Junge Männer aus Deutschland ziehen in den „Heiligen Krieg“ nach Syrien oder in den Irak. Die heimkehrenden Gotteskrieger gelten als Gefahr für unsere Sicherheit
Christian Vollradt

In Aleppo war Schluß. Isa al Muhajer hatte sich von Deutschland aus auf den Weg nach Syrien gemacht, um seine „Brüder und Schwestern“ im Bürgerkrieg mit der Armee von Machthaber Assad zu unterstützen. Am 13. November kam der 23jährige bei einem Bombenangriff in der umkämpften Metropole im Norden des Landes ums Leben. „Isa war einer von denen, die nicht nur labern, sondern die handeln. Er hat sich auf den Weg Allahs gemacht“, lobte ihn kurze Zeit später der deutsche Konvertit Sven Lau, Mitstreiter des prominenten Salafisten-Predigers Pierre Vogel, in einer Videobotschaft.

Mehr als 320 Islamisten aus der Bundesrepublik sollen laut Sicherheitsbehörden (Stand März 2014) nach Syrien gereist sein, um dort zu kämpfen oder zumindest die dort operierenden Rebellengruppen zu unterstützen. Anders als nach Afghanistan ist die Reise in das dortige Bürgerkriegsgebiet über die Türkei relativ einfach zu bewerkstelligen. „Ein Flugticket in die Türkei kostet nicht viel, und über die Grenze kommt man dann leicht“, meint Gilles de Kerchove, EU-Koordinator für Terrorismusbekämpfung, in der FAZ. Bundesinnenminister Thomas de Maizière verlieh jüngst bei der Vorstellung des Bundesverfassungsschutzberichts seiner Sorge vor denjenigen Ausdruck, die aus den Bürgerkriegen in Syrien und dem Irak zurückkehren.

Der CDU-Politiker sprach von einer „konkreten tödlichen Gefahr“ und erwähnte in diesem Zusammenhang den Anschlag im jüdischen Museum von Brüssel. Dort hatte im Mai ein französischer Islamist, der zuvor in Syrien gewesen war, vier Menschen erschossen. Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, nannte den islamistischen Terrorismus die derzeit größte Bedrohung der inneren Sicherheit in Deutschland, das weiterhin Ziel von Anschlagsplanungen sei.

Tatsächlich soll eine nicht genau bezifferte Anzahl der Richtung Syrien gereisten Personen inzwischen wieder nach Deutschland zurückgekehrt sein. Etwa ein Dutzend von ihnen habe aktiv an Kampfhandlungen teilgenommen, meldet der Verfassungsschutz. „Darüber hinaus ist bekannt, daß einige aus Deutschland ausgereiste Islamisten in Syrien verstorben sind.“ Mindestens 25, heißt es. Einer davon ist Isa.

In Kontakt mit den Salafisten, den Vertretern dieser besonders radikalen Form des Islam (JF 21/12), kam der junge Mann aus einer streng katholischer Familie in Braunschweig. Dort besuchte er nach Erkenntnis der Sicherheitsbehörden ein gutes Jahr lang die Moschee des (inzwischen aufgelösten) Vereins „Einladung ins Paradies“ des Imams Muhamed Ciftci (JF 40/10). „Der Isa war auf Sinnsuche und ist dabei zum Islam konvertiert“, beschreibt der Leiter des Staatsschutzes bei der Braunschweiger Kriminalpolizei, Klaus Buhlmann, im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT den Werdegang dieses deutschen Dschihadisten. Gemeinsam mit dem Landeskriminalamt sowie dem Verfassungsschutz hatten die Beamten die Moschee schon seit längerer Zeit im Visier. Denn hier verkehrte auch der Islamist, der den Zünder für die Terroristen der sogenannten „Sauerland-Gruppe“ besorgt hatte.

Hat Isa Nachahmer? „Nach unserer Kenntnis sind etwa 30 Personen aus der Region Braunschweig/Wolfsburg in Syrien oder sitzen zumindest auf gepackten Koffern“, so Buhlmann gegenüber der JF. Auch wenn sich der größte Teil der Leute noch dort aufhalte, bereiten die Rückkehrer den Polizisten am meisten Kopfzerbrechen. „Da kommen dann Leute, denen vielleicht die Illusionen zerstört wurden, vielleicht auch die Psyche. Und das alles dann gepaart mit Erfahrungen aus dem Guerillakampf“, gibt der Kriminalbeamte zu Bedenken.

Buhlmanns Kollege Uwe Schwellnus, Pressesprecher des niedersächsischen Landeskriminalamts (LKA), bestätigt auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT diese Einschätzungen: „Eine besondere Gefahr geht insbesondere von Personen aus, die sich an Kampfhandlungen im Ausland beteiligt haben und mit diesen zum Teil traumatischen Erfahrungen nach Deutschland zurückkehren.“ Drohungen gegen Deutschland und deutsche Interessen im Ausland seien wiederholt ausgesprochen worden, seien aber wenig konkret gewesen und hätten noch keine Reaktionen nach sich gezogen. Konkrete Hinweise darauf, daß sich Personen aus Niedersachsen an Kampfhandlungen beteiligten, lägen aktuell nicht vor.Das LKA werte wegen der verstärkten Propaganda für den Dschihad in Syrien sämtliche Ermittlungen und Hinweise in Niedersachsen in einem Fachdezernat aus und ziehe dazu extra einen Islamwissenschaftler hinzu, so Schwellnus.

Die Trägerschaft der kleinen Hinterhof-Moschee im Braunschweiger Gewerbegebiet hat mittlerweile ein Verein namens „Deutschsprachige muslimische Gemeinschaft“ inne. Ciftci übe dort jedoch weiterhin maßgeblichen Einfluß aus, so Staatsschützer Buhlmann. „Die wissen, daß wir sie beobachten, wir sprechen ja mit denen. Und wir konnten auch Ausreisen schon verhindern“, betont Staatsschützer Buhlmann. Bei Isa habe es trotz des Kontakts allerdings nicht funktioniert.

Potentiell gefährlich sind die Rückkehrer in den Augen der Ermittler vor allem aus drei Gründen: Sie haben in Syrien oder dem Irak häufig Kampferfahrung in einem äußerst grausamen und brutal geführten Bürgerkrieg gesammelt, sind also möglicherweise entsprechend „abgehärtet“, wenn es gilt, terroristisch aktiv zu werden. Und sie kennen sich andererseits hierzulande aus, sind vertraut mit den wesentlichen Lebensumständen und können sich daher unauffällig im Alltag bewegen. Außerdem stellen die Verfassungsschützer fest: „Rückkehrer genießen in der islamistischen Szene ein hohes Ansehen und können einer weiteren Radikalisierung bislang nicht gewaltbereiter Islamisten Vorschub leisten.“

Ende vergangenen Jahres hatten Polizisten in Baden-Württemberg zwei Islamisten auf der Autobahn gestoppt und festgenommen. Der Verdacht: Sie sollten im Auftrag des al-Qaida-Ablegers Islamischer Staat im Irak und in der Levante (Isil) in Deutschland erworbene militärische Ausrüstungsgegenstände wie Feldstecher und Nachtsichtgeräte über die Türkei nach Syrien bringen. Einer der beiden, der damals 23jährige Ismail I., soll zuvor als Gotteskrieger in den Reihen dieser Rebellentruppe gekämpft haben.

Genauso wie der 20 Jahre alte Berufsschüler Kreshnik B., bei dem am 12. Dezember 2013 in Frankfurt die Handschellen klickten. Der in Offenbach geborene Kosovare mit deutschem Paß sitzt seitdem in einem hessischen Gefängnis. Demnächst muß er sich vor dem Oberlandesgericht Frankfurt verantworten, die Bundesanwaltschaft hat Anfang Juni gegen ihn Anklage erhoben. Der Vorwurf lautet auf Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung sowie Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat.

Den Problemfall der Dschihad-Legionäre teilt Deutschland mit anderen europäischen Staaten wie Dänemark und Schweden, Großbritannien und Irland, den Niederlanden und Belgien sowie Frankreich und Spanien. Mitte Juni hatte die Bundespolizei am Flughafen Berlin-Tegel einen Franzosen festgenommen, der im Verdacht steht, in Europa Extremisten zu rekrutieren oder einen Anschlag vorzubereiten. Der 30jährige war aus Istanbul eingereist und hatte zuvor offenbar in den Reihen der Terrorgruppe Islamischer Staat im Irak und in (Groß-)Syrien (Isis) gekämpft. Wie eine Sprecherin des Bundespolizeipräsidiums in Potsdam auf Anfrage der JF mitteilte, sei der Mann inzwischen an die französischen Behörden überstellt worden.

Von 400 bis 500 Kämpfern geht man in Großbritannien aus, die sich allein im vergangenen Jahr der Isis angeschlossen haben sollen. Damit hätten bei den Gotteskriegern mehr junge Männer von der Insel angeheuert, als sich zwischen April 2013 und April 2014 für den Dienst als Reservist bei den Streitkräften des Landes gemeldet hätten; das waren nämlich nur ganze 170, wie der Telegraph lakonisch feststellte.

Warum tun dies im Westen aufgewachsene junge Leute? Unter anderem dieser Frage geht das in London ansässige International Centre for the Study of Radicalisation and Political Violance (ICSR) nach. Das Ziel der neun dort tätigen Wissenschaftler ist es, die Beweggründe zu erfahren, um daraus auch Präventionsmaßnahmen ableiten zu können. Dazu „folgen“ sie zahlreichen Dschihadisten in sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter. Über 600 Personenprofile sollen die Forscher gespeichert haben, darunter befinden sich auch 45 Deutsche. Dabei machen sie sich zunutze, daß auch die religiös-fundamentalistischen Gotteskrieger auf moderne Technik setzen und Internet-affin sind. Wie andere junge Männer prahlen sie auf ihren Facebook-Seiten gerne mit ihren Taten und Erlebnissen, laden Fotos aus dem Kampfgebiet genauso hoch wie die ihrer teilweise grausam entstellten Opfer. Dies wiederum dient auch der Propaganda.

Daß ausgerechnet die Isis, die radikalste der radikalen Gruppen, die ihren Gegnern die Köpfe abtrennt oder sie kreuzigt, die meisten „Westler“ in ihren Reihen hat, liegt wohl auch an dieser Form der PR via Internet. Außerdem sollen die Freiwilligen hier relativ günstige Rahmenbedingungen vorfinden, genügend Verpflegung, Unterkunft und etwa 40 Dollar Monatssold. Berichte, wonach die Truppe in eroberten Gebieten die Herrschaft Allahs zuerst mittels Massenvergewaltigungen einläutet, mögen in den Augen der virilen Nachwuchssöldner ein übriges zur „Attraktivität“ beisteuern.

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