© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/14 / 04. Juli 2014

Wohlfinanziertes Grauen
Irak: Die radikalsunnitische Terrororganisation Isis liegt geschäftlich gut im Rennen / Weltweite Netzwerke bilden Haupteinnahmequelle
Marc Zöllner

Es war ein Anblick des Grauens, der sich den Einwohnern des kleinen, rund 50 Kilometer östlich der Millionenmetropole Aleppo gelegenen Ortes Deir Hafir vergangenes Wochenende bot: Auf einer eilends zusammengezimmerten Bühne hingen auf dem zentralen Marktplatz acht junge Männer. Ihre Arme waren mit Tüchern an schwarze Holzkreuze gefesselt, ihre Körper blutüberströmt von den Folterspuren der vergangenen Nächte. Drei Tage lang wurden sie in der glühenden Wüstensonne Syriens zur Schau gestellt, bis auch der letzte unter ihnen seinen Schmerzen erlag.

Saudische Bürger zeigen sich spendierwillig

Daß sie der falschen Rebellenbewegung gegen Syriens Machthaber Baschar al-Assad angehörten, nämlich der moderaten sunnitischen, von den Vereinigten Staaten unterstützten „Erweckungsbewegung“, kam ihrem Todesurteil gleich. Die radikalsunnitische Terrororganisation „Islamischer Staat im Irak und in Syrien“ (Isis), welche seit kurzem im Umland Aleppos fest im Sattel sitzt, duldet neben sich keine Abweichler mehr. Zeitgleich mußte dies auch ein weiterer junger Mann schmerzhaft erfahren, der unter der Anklage der „Falschaussagen gegen die Isis“ von ebenjener in Al Bab, kaum 30 Kilometer nördlich von Deir Hafir, gekreuzigt werden sollte. Erst nach acht Stunden des Martyriums getrauten sich Anwohner, ihn vom Kreuz zu befreien.

Kaum ein Tag vergeht, an dem Isis nicht die Schlagzeilen der Weltpresse bestimmt. Nur mit Mühe konnte Ende Juni ihr Vormarsch auf die irakische Hauptstadt Bagdad vereitelt werden.

Doch wie finanzieren sich die sunnitischen Fundamentalisten? Im Anfang Juni eroberten Mossul gelang ihnen mit der Plünderung der ansässigen Staatsbank der größte Coup ihrer bisherigen Geschichte: Über 500 Milliarden irakische Dinar, umgerechnet rund 320 Millionen Euro, sollen sie dort erbeutet haben. Der Raub eröffnet der Isis, die mittlerweile über 15.000 Kämpfer auf beiden Seiten der irakisch-syrischen Grenze zählt, insbesondere in der Ausstattung und Rekrutierung ihrer Einheiten ungeahnte Möglichkeiten. Doch auf solch finanzielle Glücksfälle wie jenen von Mossul angewiesen ist die Terrororganisation schon lange nicht mehr.

Bereits 2012 gelang es der Isis, in den Wirren des syrischen Bürgerkriegs erste Ölfelder unter ihre Kontrolle zu bringen. Für den Export schloß man Verträge mit lokalen Stammesfürsten, aber auch mit Syriens Machthaber Baschar al-Assad, welcher spätestens seit dem US-amerikanischen Einmarsch in den Irak hervorragende Kontakte zu verschiedenen islamistischen Gruppen unterhält und diese bislang geschickt auch gegen die moderaten Kräfte der Freien Syrischen Armee auszuspielen verstand. Doch auch mit der Erpressung von Geschäftsleuten, der Einführung eigener Steuern sowie dem Antiquitätenschmuggel verdiente sich Isis bislang eine goldene Nase.

„Allein aus Al-Nabuk, westlich von Damaskus, stahlen sie über 36 Millionen Dollar (rund 30 Millionen Euro)“, berichtete ein Geheimdienstler kürzlich der britischen Zeitung The Guardian. Schutzgelderpressungen aus dem damals noch nicht besetzten, seitdem jedoch als Hauptstadt des Ende Juni ausgerufenen Kalifats fungierenden Mossul spülten weitere monatliche acht Millionen Dollar in die Kriegskasse. Das Gros der Finanzen, über welche die Rebellen strikt Buch führen und jedes Jahr einen öffentlich einsehbaren Abschlußbericht ins Netz stellen, entstammt jedoch sogenannten Funding-Projekten aus den weltweiten sozialen Netzwerken. Dort sammelten die Radikalsunniten insbesondere bei saudischen Bürgern Spenden, angeblich für den Wiederaufbau des zerstörten Syriens, die über Umwege in Kuwait versacken und erst wieder im Norden Iraks auftauchen.

Zwei Tage vor dem Fall Mossuls gelang es irakischen Spezialeinheiten, mit Abdulrahman al-Bilawi eine der Spinnen im Isis-Netzwerk zu töten. Was sich in seinem Haus fand, überraschte die Ermittler: Rund 160 USB-Sticks, die nicht nur die Initialen sämtlicher Angehöriger und Sympathisanten beinhalteten, sondern auch unzählige Kontenauskünfte sowie Kopien interner Schreiben. Und eine Erkenntnis: „Vor diesem Fund fragten uns westliche Geheimdienste, wo die Isis ihr Geld hernimmt, mal 50.000 Dollar hier, mal 20.000 Dollar da“, bestätigt der Informant dem Guardian. „Aber das waren ja nur Peanuts. Nun wissen wir: Es gibt keinen Staat, der die Isis finanziert. Die brauchen gar keinen.“

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