© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/14 / 04. Juli 2014

Der Geßlerhut hängt in Brüssel
Regietheater: Eine Neuinszenierung von Rossinis „Tell“ macht aus dem Stück einen Aufstand gegen die EU
Richard Stoltz

Das Regietheater schreckt bekanntlich vor keinem Schwachsinn zurück, wenn es um die „Aktualisierung“ (sprich: Verhunzung) klassischer Texte und Szenen geht. Besonders genüßlich werden berühmte Opern verhunzt, so jetzt am Münchner Nationaltheater der „Guillaume Tell“ von Rossini. Aus dem Kampf der Urschweizer gegen die Habsburger Landvögte machte der in Tübingen geborene Regisseur Antú Romero Nunes (30) schlankweg einen Aufstand der heutigen Euro-Gegner gegen die Brüsseler EU-Behörden.

Aus dem Landvogt Geßler mit seinem Hut wurde eine Art Jean-Claude Juncker, Wilhelm Tell selbst erschien als eine Art Bernd Lucke von der AfD. Das Publikum buhte diesen Regiezirkus (wie in solchen Fällen üblich) zornig aus. Einige „Star-Kritiker“ hingegen waren (wie ebenfalls üblich) gerade von der Regie begeistert. Reinhard J. Brembeck von der Süddeutschen Zeitung geriet regelrecht aus dem Häuschen, himmelte den Regisseur an, während er über die massiven Buhrufe des Publikums herablassend anmerkte, so etwas gehöre heutzutage eben zur „Folklore“ des modernen Opernbetriebs.

Wie lange will sich das sachverständige Publikum solchen Betrieb eigentlich noch gefallen lassen? Es liebt die Oper über alles, ihre Musik, ihre großen Sängerinnen und Sänger, hält ihr unentwegt die Treue – und muß immer wieder hinnehmen, daß seine Treue von regielichen Zeitgeistverwaltern frech ausgenutzt wird, um irgendwelche Schnapsideen gewinnbringend in die Medien zu schieben.

Das Ganze läuft, wie gesagt, unter dem Titel „Aktualisierung“. Die Leute sollen stets dem wiederbegegnen, was sie ohnehin tagtäglich in der „Tagesschau“ eingebläut kriegen. Notwendig wäre statt dessen eine exakte Historisierung. Denn Kunst reicht weit über den Tag hinaus, in die Vergangenheit wie in die Zukunft.

www.bayerische.staatsoper.de

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