© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/14 / 04. Juli 2014

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Der Antritt Philipps VI. dürfte die reduzierteste Form der Nachfolge sein, die in einer Monarchie denkbar ist. Es sind alle Elemente weggefallen, die traditionell zum Thronwechsel gehörten: Krönung, Salbung, Inthronisation, Akklamation. Das Ganze erinnerte an einen Verwaltungsakt. Die formelle Übergabe des Oberkommandos der Streitkräfte durch den Vorgänger Juan Carlos, die öffentliche Fahrt durch die Straßen von Madrid, der höfliche Beifall der Untertanen und der Eid auf die Verfassung können an dieser Feststellung sowenig etwas ändern wie die gute Figur, die der neue König machte, oder die Stilsicherheit der Königin bei der Wahl ihrer Kleidung.

Es ist bezeichnend, daß die entscheidende Versuchung der Linken – „bösartige Menschenliebe“ – und die der Rechten – „Zynismus“ – von rechten Denkern identifiziert wurde: Edmund Burke und Nicolás Gómez Dávila.

„Neun Zehntel der Kirchenglieder geben kaum noch Lebenszeichen von sich.“ (Martin Erdmann, bayerischer Landesbischof, in einer Ansprache vor der Synode, 1963)

Die spanische Monarchie soll – so die Erklärung für die Art der Amtseinführung – durch demonstrative Bescheidenheit an Glaubwürdigkeit gewinnen. Man darf Zweifel daran haben, daß das gelingt: zum einen wegen der chaotischen Geschichte des Landes in den vergangenen beiden Jahrhunderten mit der großen Zahl sich streitender dynastischer Linien, der Menge an unfähigen Herrschern oder Prätendenten, der massiven Fliehkräfte der Regionen, der organisatorischen Schwäche der Königstreuen und der Heftigkeit republikanischer Leidenschaften, die jederzeit wieder aufflammen können. Aber es spricht dagegen auch das Musterbeispiel populärer Monarchie: das britische. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatte das Königtum auf der Insel den Tiefpunkt seines Ansehens erreicht, an seinem Ende stand es als das stabilste Europas da, inzwischen hatte es nur eine, wenigstens für den längsten Zeitraum ihrer Regentschaft, überzeugende Monarchin gegeben, aber jede Menge geschickte PR, einsichtige und gut-royalistische Mediengewaltige und vor allem und in erster Linie: pomp and circumstance – „Pracht und Herrlichkeit“ oder „Glanz und Gloria“.

Daß man zur älteren Generation gehört, merkt man auch wegen der Sorge, die einen angesichts von Flecken auf Kleidung oder Tischdecke befällt. Jüngere gehen darüber mit einem Lächeln oder Achselzucken hinweg. Die Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre Geborenen dürften die letzten sein, die die Ohrfeige nach dem Schokoladeneis auf dem weißen Sonntagnachmittagsausgehhemd zutiefst geprägt hat.

Bildungsbericht in loser Folge LIX: Der Handreichung, die auf den Wettbewerb zur Zulassung für das Lehramtsstudium in Frankreich vorbereitet, kann der Anwärter alle wesentlichen Informationen entnehmen. Darunter auch die, die er benötigt für die richtige Beantwortung der Frage, was es heute heißt, Europäer zu sein: Europäer sein heißt „Erbe“ sein. Erbe der Juden, denen wir den Sinn für die Freiheit verdanken, niedergelegt im „adamitischen Mythos“; der Griechen, die Rationalität zur Grundlage aller Wissenschaft machten, der Christen, die uns die Gleichheit aller Menschen lehrten, zum Schluß der Araber, die uns die „Solidarität der Gemeinschaft“ gezeigt haben.

Bei der Bezeichnung der algerischen Nationalspieler als „Wüstenfüchse“ weiß man nicht recht, ob es sich um Fast-Rassismus handelt oder um eine Pöbelei gegen unser Afrikakorps.

Der Historiker August Heinrich Winkler hat sich unlängst über die notwendigen Lektionen der deutschen Geschichte und das Projekt „Europa“ geäußert. Was da steht, fällt erwartungsgemäß aus, das heißt, es ist nicht besonders interessant. Aber eine Formel, die Winkler kreiert, besticht doch durch ihre Treffsicherheit wie ihre Absurdität: „posthume Adenauersche Linke“. Darunter faßt er den progressiven Flügel des Verfassungsbogens von Habermas bis Stoiber, also diejenigen, die nach der Enttäuschung der Sozialdemokraten, der Resignation der Schwarzen und der Bekehrung der Grünen zu Regierungsbeteiligung und Nato den Konsens der frühen Berliner Republik formulierten: Auschwitz als Gründungsmythos, die Amerikaner als Befreier, Israel als Staatsräson, nie wieder Deutschland, bunt ist toll, Nolte hatte unrecht.

„Zur selben Zeit aber ließ Augustus aus dem Heiligtum, darin er sich befand, den Sarg holen, in dem der Leichnam des großen Alexander lag, und er zollte ihm Verehrung, indem er ihm einen goldenen Kranz aufs Haupt setzte und ihn mit Blumen bestreute. Als man ihn aber fragte, ob er auch die Ptolemäer sehen wollte, sagte er, nicht Tote, sondern einen König habe er schauen wollen.“ (Sueton)

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 18. Juli in der JF-Ausgabe 30/14.

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