© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/14 / 04. Juli 2014

Glanz einer untergehenden Epoche
Fin de siècle in neuem Licht: Eine reichhaltige Ausstellung im Berliner Bröhan-Museum beleuchtet die janusköpfige Welt der Belle Époque
Felix Dirsch

Unser Bild der Zeit vor 1914 ist von etlichen Lobpreisungen prominenter Literaten und Gelehrten geprägt. Stefans Zweigs „Welt von gestern“ und Karl Alexander von Müllers Jubelhymnen sind nur zwei Beispiele von verklärender Sicht auf eine angeblich goldene Epoche.

Tatsächlich boten insbesondere die Metropolen eine Lebensqualität, die ein oder zwei Generationen vorher noch unmöglich gewesen wäre: Man denke an die Pariser Cabarets „Chat Noir“ und „Moulin Rouge“, an die prächtigen Wiener Kaffeehäuser, an die Boulevards und Theater, aber auch an die imposanten Villen, die bis heute das Flair eines Münchner Stadtteiles wie Bogenhausen prägen. Freilich kontrastieren diese kulturellen Höhepunkte auch die zunehmenden sozialen Verwerfungen, die vor allem Folge der Industrialisierung sind und eine schnell steigende Zahl von Menschen betreffen.

Die Ausstellung „1914 – Das Ende der Belle Époque“ umfaßt den Zeitraum von der Pariser Weltausstellung 1900 bis 1914. Seinerzeit dominierte der Jugendstil, der nochmals eine einheitliche Deutung des Daseins versuchte – ein Unterfangen, das letztlich scheiterte. Der Rundgang beginnt mit einer Schau wichtiger Zeitschriften wie der Jugend und des sozialkritischen Simplicissimus. Eine Fülle herausragender Exponate aus sehr unterschiedlichen Materialien besticht schon allein dadurch, daß sie vom Entwurf her häufig ohne Vorbild waren: Erwähnenswert sind – in allzu spärlicher Auswahl – der Zinn-Fledermausleuchter der Krefelder Metallwarenfabrik J.P. Kayser, die Porzellan-Terrine von Alf Wallander und die Figuren („Schärpenspieler“) aus dem Tafelaufsatz „Le jeu de l’écharpe“ in Biskuitporzellan.

Auf die Einflüsse des Japonismus bei der Überwindung des reinen Durchdeklinierens historischer Stile, die mit der eigenen Gegenwart längst nichts mehr zu tun hatten, wird nachdrücklich hingewiesen. Besonders der Asienkenner und Kaufmann Siegfried Bing, der auf der Pariser Weltausstellung einen eigenen Pavillon errichten konnte, machte sich durch seine Auftragskunst um die Verbindung von Japonismus und Moderne verdient. In diesem Zusammenhang sind auch exzellente Vasen entstanden, die in der Schau bestaunt werden können.

Ebenso ausgestellt sind repräsentative Möbelstücke von den damals bekannten Künstlern Bruno Paul und Richard Riemerschmid. Hector Guimard schuf um 1900 ein nicht genug zu bewunderndes Buffet in Kirsch-Holz mit charakteristischer Seerose, die als Motiv in impressionistischen Darstellungen immer wieder verwendet wird. Leidenschaftlich diskutiert wird die Frage, ob der Künstler sich in erster Linie für die Kreierung eines Möbeltypus einsetzen solle oder ob seine primäre Aufgabe darin liege, ein individuelles Möbelstück zu schaffen, wie es der herkömmlichen Ansicht zumeist entsprochen hat. Das industrielle Zeitalter fordert auch diesbezüglich neue Antworten.

Fotografien von Heinrich Zille geben Einblick in die prekäre soziale Lage eines größeren Bevölkerungsanteils; so unter anderem in Gestalt von Frauen, die einen schweren Holzwagen ziehen. Verschiedene Reformbewegungen des Zeitalters beabsichtigen, Kontrapunkte zu dominanten Entwicklungen zu setzen. So rückt die Verstädterung die Bedeutung der Natur in den Vordergrund.

Schon im späten 19. Jahrhundert läßt sich eine vermehrte Rezeption der aus England stammenden Arts-and-Crafts-Bewegung erkennen, die vor allem mit Namen wie William Morris und John Ruskin verbunden ist. Die Kunst soll wieder stärker an das alltägliche Leben angebunden werden. Diese Intention bildet auch den Hintergrund der Künstlerkolonien, von denen „Worpswede“ aufgrund der klangvollen Namen Heinrich Vogeler, Rainer Maria Rilke, Paula Modersohn-Becker und anderer wohl die bekannteste ist.

Die Ausstellung verdeutlicht diese Bestrebungen anhand einer Reihe von Beispielen. Außergewöhnlich ist das Schaffen Henry van de Veldes. Der enorm vielfältige Künstler bemüht sich schwerpunktmäßig um die Herausstellung der Einheit von Funktion und Ornament. Der allzu oft häßliche Alltag soll schöner werden.

Dieses Ziel verfolgt auch Peter Behrens, einer der Wegbereiter des Industriedesigns, dessen herausragendes Werk in der Konzeption der AEG-Turbinenfabrik besteht. Er macht sich nicht zuletzt im Hinblick auf die Gebrauchskunst einen Namen. Weiterhin gestaltet er sein eigenes Wohnhaus als ästhetisches Gesamtkunstwerk, das nicht geringe Strahlkraft entwickelt.

Am Ende der Ausstellung ist ein beeindruckender Bilderzyklus von Willy Jaeckel mit dem Titel „Memento 1914/15“ zu sehen. Eindringlich vermitteln diese frühen Werke des späteren expressionistischen Malers das Grauen von Tod, Vergewaltigung, Verwundung, und Stacheldrahtrealität.

Der Besucher hat das Glück, eine Ausstellung zu erleben, die auf begrenztem Raum ein reichhaltiges und sorgfältig ausgewähltes Angebot an Exponaten vorführen kann. Die erklärenden Texte sind gut verständlich, Gestaltung und Umfang des Katalogs in jeder Hinsicht angemessen.

Die Ausstellung „1914 – Das Ende der Belle Époque“ ist bis zum 31. August im Berliner Bröhan-Museum, Schloßstr. 1a, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Telefon: 030 / 326 906 00

www.broehan-museum.de

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