© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/14 / 04. Juli 2014

Die schrillen Rufe der Mauersegler
Überspannt statt spannend: Beethovens „Fidelio“ in der Gedenkstätte Zuchthaus Cottbus
Sebastian Hennig

Vor sieben Jahren gründeten ehemalige politische Häftlinge des DDR-Regimes den Verein „Menschenrechtszentrum Cottbus“. 2011 konnten sie dann die Stätte ihrer Inhaftierung, das Gelände der Strafanstalt Cottbus erwerben. In den Folgejahren wurde das Zuchthaus zu einer Gedenkstätte umgestaltet. In der DDR waren hier zeitweise über 80 Prozent der Insassen politische Häftlinge.

Die Eröffnung der Ausstellung „Karierte Wolken – politische Haft im Zuchthaus Cottbus 1933–1989“ fand am 28. Juni mit einem bis zum 12. Juli währenden „Freiheits- und Demokratiefest“ statt. Es wurden Filmvorführungen, Konzerte und Diskussionen veranstaltet. Der spektakuläre Höhepunkt zu Beginn dieses Fests war die Premiere von Ludwig van Beethovens Befreiungsoper „Fidelio“ im Innenhof durch das brandenburgische Staatstheater Cottbus. Der Opernchor des Staatstheaters wurde verstärkt um einen Extrachor sowie die Singakademie Cottbus, den Gesangsverein „Liederkranz“ Groß Gaglow e. V., die Herren des Chores Cantica Istropolitana aus Preßburg. Zudem sangen einige der früher hier Inhaftierten mit. Wenn sie im Schlußchor des ersten Aufzugs „O welche Lust in freier Luft“ anstimmten, zunächst zaghaft und dann immer mehr zur Zuversicht anschwellend, erfüllte sich die zentrale Absicht der Regie von Martin Schüler. Von Lokalkolorit zu sprechen ist eigentlich unpassend angesichts der trostlosen Mauern, die sich hinter der Bühne erhoben. An einigen der vergitterten Fenster sind zusätzlich stählerne Sichtblenden angebracht.

Im Vorfeld der Feierlichkeiten zum 25jährigen Jubiläum der friedlichen Revolution im Herbst 1989 leiteten Ansprachen unter anderem des Vereinsvorsitzenden Dieter Dombrowski, früherer Häftling in Cottbus und heute stellvertretender CDU-Vorsitzender im Brandenburger Landtag, der Gedenkstättenleiterin Sylvia Wähling und der Kulturstaatsministerin Monika Grütters das Ereignis mit ein. Leider färbte die aufgesetzte politische Willensbekundung diesen Theaterabend mehr ein, als es in der selbstredenden Umgebung angemessen wäre. Die künstlerische Leistung wurde zum Ornament der Idee der Genugtuung.

Wetterbedingte Unterbrechung im Finale

Marzelline (Cornelia Zink) und Jaquino (Hardy Brachmann) verliehen dem Eingangsduett lebendige Grazie. Für die Sänger war es gewiß nicht immer leicht sich zu verständigen. Die Mikrofonverstärkung erschwerte ein organisches Zusammengehen der Stimmen in den großen Duetten und Quartetten. Manches klang so nicht aus mangelndem Vermögen der Darsteller, sondern aufgrund der Tontechnik etwas uneinheitlich.

Diese Heterogenität wurde zusätzlich von groben Effekten unterstrichen. Dem rhythmischen Pochen, welches den flirtenden Schließer immer wieder zum Dienst abberief, wurde eine knarrende Sirene unterlegt. Zum Gefangenenchor stießen die bewehrten Posten eine unabsehbare Häflingsschar mit derben Kommandos auf die Bühne hinauf. Den schuftigen Don Pizarro verkörperte Andreas Jäpel sehr eindringlich.

Die Gestalt des Florestan (Craig Bermingham) wurde im doppelten Wortsinne etwas arg überspannt dargestellt. Von seinen Handgelenken spannten sich nämlich Seile beidseitig hinauf bis zu den haushohen Gerüsten mit Scheinwerfern und Lautsprechern. Ein blutiger Verband über den Augen unterstrich den grauenvollen Anblick. Nun soll Beethoven im persönlichen Umgang selbst zuweilen radikal bis zur Roheit gewesen sein. Vielleicht hätte er darum diesen blutrünstigen Aufzug sogar gebilligt. Für eine sommerliche Freiluft-Veranstaltung mit festlicher Note wirkte das Ganze etwas mutwillig überzogen. Das ging zuweilen bis an die Grenze zur Frivolität.

So wenn schon vor der Vorstellung der beleibte Wachtmeister die Komparserie der Wachmannschaften inmitten des wartenden Premierenpublikums durch Kommandorufe Hantierungen mit ihren Karabinern vornehmen ließ. Daß die Erzählungen früherer Häftlinge des Cottbuser Zuchthauses in die Darstellung mit eingeflossen sind, ist ja an sich kein Gütesiegel für eine Inszenierung. Die Authentizität des Ereignisses und integrale Wahrhaftigkeit eines Kunstwerkes werden immer zwei verschiedene Dinge bleiben.

Als eigentliche Boten einer ungezähmten Freiheit erwiesen sich die zahlreichen Mauersegler, die in sichelnden Bahnen durch den dämmernden Himmel jagten. Ihr schriller Ruf durchdrang die elektroakustisch verstärkte Orchestermusik. Hätte man der Wirkung der eruptiven Dramatik der Beethovenschen Musik im Wechsel mit den gesprochenen Dialogen vertraut, die Erschütterung hätte sich von selbst eingestellt, und manche Possenhaftigkeit wäre vermieden worden. Der gespenstige Rahmen wäre weit stärker fühlbar geworden.

Die Verfremdung und Überzeichnung bewirkte eine Überlagerung der echten mit den artifiziellen Reizen, was letztlich zu einer Abschwächung des gewünschten Effektes führte. Obwohl es vor Beginn kräftig regnete, wurde während der Vorstellung glücklicherweise keine Verlagerung ins Gebäude des Staatstheaters erforderlich. Die einzige wetterbedingte Unterbrechung trug dennoch unfreiwillig ironische Züge. Just in dem bedeutenden Augenblick des Finales, da der rettende Minister (Heiko Walter) mit den Worten „Doch halt! Euch edle Frau ...“ die Befreiung Florestans noch einmal kurz verzögert, indem er Rocco (Jörn E. Werner) den Schlüssel aus der Hand nimmt, um ihn der tapferen und treuen Leonore (Miriam Gordon-Stewart) als einzig berechtigter Person zu dieser Befreiung zu reichen, begann es zu regnen. Und wie von Geisterhand geführt wurden mitten im Takt die empfindlichen Instrumente zusammengepackt.

Gerade diese Szene korrespondiert aufs schönste mit der Tatsache, daß hier in Cottbus die ehemaligen Gefangenen sich durch die Übernahme der Stätte ihres Unrechts sich selbst von dem Schatten der Vergangenheit befreien konnten.

Die nächsten „Fidelio“-Vorstellungen in der Gedenkstätte Zuchthaus Cottbus, Bautzener Str. 140, finden am 4., 7., 11. und 12. Juli jeweils um 21 Uhr statt. Telefon: 0355 / 290 133-0

www.menschenrechtszentrum-cottbus.de  www.staatstheater-cottbus.de

Foto: Craig Bermingham (Florestan), Miriam Gordon-Stewart (Leonore)

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