© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/14 / 04. Juli 2014

Die Dialektik der Revolution entlarvt
Der französische Denker Antoine de Rivarol und die Skepsis gegenüber den Weltumbau-Ideologen
Klaus Hornung

Ein gerade dreißigjähriger Franzose gewinnt 1783 den Preis der Berliner Akademie für seine Beantwortung der Frage „Wodurch ist die Universalität der französischen Sprache zu erklären?“ Der junge unbekannte Mann wird über Nacht in Europa eine literarische Berühmtheit. Friedrich der Große schreibt ihm einen schmeichelhaften Brief, König Ludwig XVI. setzt ihm eine Pension aus.

Antoine Graf de Rivarol, sein Adelstitel ist zweifelhaft, ist der Sohn eines Gastwirts, Schulmeisters und Steuereinnehmers aus der südwestfranzösischen Provinz. Im Priesterseminar zu Avignon erfährt er eine solide Bildung in antiker Literatur, Geschichte und Mythologie. Doch bald taucht er in den Pariser Salons auf, der Fortbildungsschule des ausgehenden Ancien régime, wo er mit schlagfertigem Witz, treffenden Bonmots und Pointen brilliert. Doch er ist nicht einer der vielen Dandys, die auf die Revolution warten oder sie vorbereiten helfen. Er ist aber auch kein Reaktionär, kein Ultra, vielmehr ein scharfer Beobachter der Menschen und Ereignisse.

Die Apostel der Revolution schufen ihre neue Religion

Schon 1788 porträtiert er in einem „Kleinen Almanach der großen Männer der Revolution“ die Mitglieder der Generalstände. Die Revolution erlebt er von Beginn an in ihrem Brennpunkt in Paris. Kurz vor dem Sturm auf die Bastille, am 12. Juni 1789, erscheint sein Journal Politique National, das gegen die Revolution schreibt und bis 1790 erscheint. Es wird abgelöst von seiner nicht weniger antirevolutionären Zeitschrift Actes des Apotre. In ihr zeigt Rivarol sich als Publizist mit klaren Lagebeurteilungen, als einer, der inmitten der sich radikalisierenden Revolution die Notwendigkeit erhaltender, bewahrender Kräfte anmahnt und der erkennt, daß die Apostel der Revolution dabei sind, einer neuen, einer politischen Religion zu huldigen. Er nimmt schon vieles vorweg, was später Alexis de Tocqueville zu seinem Ruhm verhelfen wird. Die Actes des Apotre werden zu einer wichtigen Quelle für Edmund Burkes „Betrachtungen über die Revolution“, die 1790 erscheinen.

Als klar wird, daß die Monarchie dabei ist, sich selbst aufzugeben, kurz vor dem Sturm auf die Tuillerien am 10. August 1792, weicht Rivarol nach Brüssel aus, später geht er nach Hamburg, wo die Schwester schon lebt, und schließlich im Jahr 1800 nach Berlin. Bereits im April 1801 stirbt er hier an einer Erkältung, kaum 48 Jahre alt. Von seinem geplanten großen Wörterbuch der französischen Sprache und einer Theorie der Staatskunst bleiben nur Torsi in der Form von Maximen, die posthume Sammlungen finden.

Rivarols Maximen zur Politik sind die Frucht seiner Erfahrungen und Erkenntnisse während des stürmischen Jahrzehnts zwischen der Revolution 1789 und Napoleons Machtantritt 1799. Mit der Schule der großen antiken Denker wie Aristoteles und Cicero erkennt er den Bogen einer Entwicklung, die mit dem Evangelium der Freiheit und Gleichheit beginnt und mit der Diktatur des neuen ersten Mannes endet. Rivarol stellt nicht ohne Stolz fest, daß er diese Dialektik früh durchschaute, die sich zuerst auf die Vernunft berief, die sie aber dann Schritt für Schritt überflüssig machte und die in Verbrechen endete, nur noch eine „Hoffnung für Kriminelle und Briganten“.

Und mitten darin stand das Volk als Akteur und als Opfer, dessen Bild bei Rivarol kritisch ausfallen muß, erkennt er es doch als stets wandelbar und unzuverlässig, erfüllt mehr von Leidenschaften als von Vernunft, meist ein Werkzeug der Mächtigen, das sich in der Revolution zu wütender Grausamkeit steigern kann. Wenn dann die Regierung, wie Rivarol am Beispiel Ludwigs XVI. demonstrierte, „schlecht genug ist, um zum Aufstand zu reizen“, und zugleich „schwach genug, um ihn nicht ersticken zu können“, dann ist der Sieg der Revolution unabwendbar.

Als schließlich Napoleon Bonaparte als ihr Bändiger auftritt, zeigte sich erneut, wie das Volk von Wünschen und unklaren Erwartungen, Anpassung und Opportunismus bestimmt wird, bereit, auch dem neuen Wundermann und Zauberkünstler zu folgen. Der dialektische Bogen von der Monarchie über die mißverstandene und mißbrauchte Demokratie zu neuer Herrschaft und Diktatur schloß sich, wie schon Aristoteles und Platon gezeigt hatten.

Ernst Jünger hat 1956 eine Auswahl von Rivarols Maximen übersetzt und veröffentlicht und seinen Lebensgang skizziert. 1938 hatte ihm der junge Romanist Karl-Eugen Gass seine bei Ernst Robert Curtius geschriebene Dissertation zugesandt: „Antoine de Rivarol und der Ausgang der französischen Aufklärung“. Gass berichtete in seinem Begleitbrief von dem starken Einfluß Rivarols, der ihm „allseitig die gegenwärtige Situation durchleuchtet“ habe, womit natürlich nichts anderes gemeint war als Hitlers totalitäre Diktatur.

Gass blieb auch während des Krieges mit Jünger in loser Verbindung. Er fiel am 18. September 1944, gerade einmal 32 Jahre alt. Er gehörte „zu den Garben reifender Talente“, die der Krieg einforderte, wie Jünger schreibt. Der junge Doktor hatte Jünger auch mitgeteilt, daß er gern noch eine Auswahl der Maximen Rivarols herausgeben würde. Die vorliegende Auswahl aus Rivarols Maximen war also für Jünger die Erfüllung eines Vermächtnisses.

Zugleich war sie aber auch die Erinnerung an einen Schriftsteller, dessen „rationale Nüchternheit“ ihn ansprach. Rivarol hatte erkannt, daß die Revolution auf Kosten der Substanz der Gesellschaft, ihres „Grundkapitals“, gewirkt hatte und daß es darum ging, auf der Tabula rasa, die sie hinterlassen hatte, neuen Humus zu bilden, sich um neues Vertrauen in die Ordnung der Welt zu kümmern, um die Vorbilder und Eliten von morgen, um tragfähige Bindung, sicheren Bestand, um Heimat und Vaterland.

Jünger erschien das Erbe von 1789 fadenscheinig geworden, weil es zuviel von den Menschenrechten und zuwenig von den Menschenpflichten sprach. Mit Rivarol teilte Jünger die Einsicht, daß die eigentlichen Probleme auch heute weniger die politischen sind und daß inmitten der zivilisatorischen Dynamik unserer Zeit nichts dringlicher ist als die Pflege und Bildung lebens- und orientierungspraktischer kultureller Selbstverständlichkeiten anstatt der sich noch so menschenfreundlich gebenden Weltumbaupläne. Jünger erinnerte an das Bild des Moses, der an den Felsen schlägt, aus dem die Quellen des neuen, lebenspendenden Wassers entspringen. In diesem Sinne war für ihn Rivarol eine Stimme, deren Aktualität neu entdeckt zu werden verdient.

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