© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/14 / 11. Juli 2014

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Genosse Zeuge
Marcus Schmidt

Eva Högl muß an diesem Vormittag auf der Hut sein. Die Journalisten, mit denen sie am Mittwoch vergangener Woche im sechsten Stock des Berliner Jakob-Kaiser-Hauses in einem Besprechungsraum mit Blick auf Reichstag und Tiergarten zusammen sitzt, versuchen sie aufs Glatteis zu führen.

In wenigen Stunden wird der Bundestag den zweiten Untersuchungsausschuß der Wahlperiode einsetzen, und die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende übernimmt den Vorsitz über das Gremium, das sich mit den Hintergründen des Falles Sebastian Edathy beschäftigen soll. Ausgerechnet Edathy, der im Februar wegen des Verdachts, Kinderpornographie erworben zu haben, sein Mandat niedergelegt, Landwirtschaftsminister Hans-Peter Friedrich (CSU) gestürzt und die Koalition an den Abgrund geführt hat. Doch für Högl wiegt schwerer, daß Edathy in der vergangenen Legislaturperiode den NSU-Untersuchungsausschuß geleitet hat, in dem sie als Obfrau die SPD vertreten hat. In wenigen Monaten werden sich beide wiedersehen, wenn Edathy vom Ausschuß als Zeuge geladen wird. Eine delikate Konstellation.

Was passiert eigentlich, wenn die Opposition auf die Idee kommt, Högl ebenfalls als Zeugin vor den Ausschuß zu laden? wird sie gefragt. Doch davon will Högl an diesem Vormittag nichts wissen. Sie könne persönlich zur Klärung des Falls Edathy nichts beitragen, antwortet sie. Dennoch bleibt der Eindruck, daß die 45 Jahre alte SPD-Politikerin in ihrem neuen Amt eigentlich nur verlieren kann. Dabei konnte sie zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht wissen, daß die Situation nur wenig später noch deutlich komplizierter werden sollte.

Um 15 Uhr trat der Immunitätsausschuß des Bundestages zusammen und hob wenig später die Immunität des innenpolitischen Sprechers der SPD-Fraktion, Michael Hartmann, auf. Die Staatsanwaltschaft verdächtigt den 51 Jahre alten Politiker, bei einer Dealerin die Droge Crystal Meth gekauft zu haben. Für die SPD, die nach Edathy innerhalb weniger Monate den zweiten profilierten Innenpolitiker verloren hat, ist der kurz darauf verkündete Rücktritt Hartmanns als innenpolitischer Sprecher eine Katastrophe.

Der Rheinland-Pfälzer, der als enger Freund Edathys gilt, spielt im Fall des früheren SPD-Bundestagsabgeordneten eine wichtige Rolle. Hartmann war es, der Ende November 2013 den damaligen Parlamentarischen Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, darauf aufmerksam machte, Sebastian Edathy befinde sich in einem schlechten gesundheitlichen Zustand. „Ich habe ihn als zuständigen Arbeitsgruppen-Sprecher gebeten, sich deswegen um Sebastian Edathy zu kümmern“, teilte der zum Fraktionschef aufgestiegene Oppermann im Februar mit, als die Affäre Edathy ins Rollen gekommen war. Schon länger stellen sich Beobachter daher die Frage, ob Edathy nicht durch Hartmann über die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Hannover gegen ihn informiert worden sein könnte.

Gut möglich, daß auch Hartmann demnächst vor dem Untersuchungsausschuß aussagen muß.

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