© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/14 / 11. Juli 2014

Zu langsam, zu schlecht, zu wenig
Todesfalle für Vögel: Umrüstung gefährlicher Strommasten wird verzögert
Dietrich Kluge

Als in den 1980ern die hohen Verluste, die geschützte Vogelarten durch Strommasten erlitten, ins öffentliche Bewußtsein drangen, gingen die Betreiber des Mittelspannungsnetzes eine Selbstverpflichtung zur Entschärfung gefährlicher Masten ein. Ihre Bemühungen zeugten jedoch nicht von Eifer, so daß 2002 der Gesetzgeber auf den Plan treten mußte. Bis zum 31. Dezember 2012, so verfügte ein neuer Paragraph des Bundesnaturschutzgesetzes, sollten Netzbetreiber ihre Altmasten umrüsten, damit kein Vogel mehr durch Stromschlag zu Tode käme. Zugleich wurde die Neuerrichtung vogelgefährlicher Masten mit sofortiger Wirkung strikt untersagt.

Da das Gesetz keine Vorgaben zur technischen Umsetzung macht, arbeitete der Verband der Elektrotechnik zusammen mit Vogelschützern und Beamten des Bundesumweltministeriums die Anwendungsregel „Vogelschutz an Mittelspannungsmasten“ aus, die 2011 in Kraft trat und konkrete Anweisungen für den Neubau von Mittelspannungsfreileitungen sowie für die fristgerechte Umrüstung der Altmasten enthält. Bereits im Juli 2012 zeichnete der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) die Stromversorger im größten Flächenstaat Nordrhein-Westfalen für vorbildliche Erfüllung ihrer Umrüstungspflichten mit der Bestnote Grün aus, eine Prämierung, die der Nabu in einem weiteren Ländervergleich im Oktober 2013 bestätigte. Zumindest an dieser Front schienen Umweltschützer also auf ganzer Linie gesiegt zu haben.

Doch das ist ein Trugschluß, wie die Gesellschaft zur Erhaltung der Eulen (EGE) in Bad Münstereifel jetzt warnt. Die Eulenschützer führten 2013, nach Ablauf der Umrüstungsfrist, zehn Flächenstichproben in fünf Bundesländern durch, wobei sie die Versorgungsgebiete von acht Netzbetreibern überprüften. Das Ergebnis ist niederschmetternd (Naturschutz und Landschaftsplanung, 4/2014).

Jeder dritte Uhu stirbt an Stromschlag

Von 2.020 kontrollierten Mittelspannungsmasten erwiesen sich 660 Masten als „hochgefährlich“. Darin seien 42 Konstruktionen eingeschlossen, die teils nachweislich, teils vermutlich nach 2002 verbotswidrig errichtet wurden. Die Stichproben hochgerechnet, geht die EGE von mindestens 100.000 gefährlichen Masten im Bundesgebiet aus. Nach über zehn Jahren Umrüstung lautet daher ihr Fazit: „zu langsam, zu schlecht, zu wenig“.

Die lobenden Nabu-Erhebungen seien darum schier unverständlich und verdeckten, daß weiterhin etwa jeder dritte tot aufgefundene Uhu einem Stromschlag erlegen sei. Allein für die Eifel summieren sich diese Verluste in den letzten Jahrzehnten auf 150 dieser seltenen Raubvögel.

Von den Länderumweltministerien, denen die EGE erhebliche Defizite bei der Wahrnehmung ihrer Kontrollaufgaben attestiert, haben die Vogelschützer wenig Unterstützung zu erwarten. Überdies zeugen die Reaktionen der mit den Stichproben konfrontierten acht Netzbetreiber von einem anhaltend niedrigen Umweltbewußtsein. Und die tonangebenden Naturschutzverbände wie Nabu und BUND scheinen mit den neuen Problemen der „ganz großen Energiewende“ so beschäftigt, daß für sie die Durchsetzung der gesetzlich verankerten Umrüstung vogelgefährlicher Mittelspannungsmasten „bestenfalls den Rang einer Nebensächlichkeit“ einnehme.

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