© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/14 / 18. Juli 2014

Mit Leib und Seele
Das Sommermärchen geht weiter: Deutschland hat nicht nur den Titel, sondern auch Sympathien gewonnen
Andreas Harlass

Es ist ein Siegertitel, der das Rückgrat des deutschen Volkes ein Stück weiter aufrichten wird: quasi ein neuer Nackenwirbel gegen den Büßergang durch die Geschichte eines von Selbsthassern so genannten „Tätervolkes“. Das schwarzrotgoldene Sommermärchen von 2006 war kein Ausrutscher, nein, es wurde am vergangenen Sonntag im Maracanã-Stadion von Rio de Janeiro gekrönt.

Eine geschlossene deutsche Mannschaft kämpfte auf dem Platz und führte der Welt vor, daß Fußball tatsächlich ein Mannschaftssport ist. Nicht Boxen, Gewichtheben, Autorennen oder Tennis. Das hatte man ja schon fast vergessen. Portugal führte seinen „Superstar“ Ronaldo vor wie einen Pudel nach der Schur, Argentinien zeigte uns den Messi und Holland seinen Robben im viel zu knappen Hemd. Diese Einzelstars beherrschten bislang Platz und Gegner, ließen sich zuspielen, verwöhnen, feiern.

Deutschland hat keine derartigen Superstars, sondern – und das ist viel wichtiger – eine geschlossene Truppe: Müller, Schürrle, Kroos, Götze, Klose, Hummels, Schweinsteiger, Lahm und natürlich Neuer, der im Tor (und davor) so furchteinflößend wirkt, daß sich kaum ein Gegenspieler in seine Nähe wagte.

Die Weltmeistermannschaft von 2014, sie ist der wirkliche „Superstar“. Zusammengeschweißt von einem Team aus Ärzten, Trainern, mit Jo-achim Löw an der Spitze, der seine Zöglinge nach dem Titel als „verschworene Einheit“ bezeichnete. Auch Bundespräsident Joachim Gauck – mit schwarzrotgoldener Krawatte beim Finale – kam nicht umhin, nach dem Spiel über die deutsche Elf zu bemerken: „Sie hatte Stars, war trotzdem eine Mannschaft.“

Recht hat er. Mitfavorit Holland lediglich auf dem dritten Platz, Italien, England und Spanien peinlich früh raus. Favorit Brasilien ohne seinen Torhelden Neymar ein wilder Haufen, der von Deutschland sowie Holland zusammengefaltet und dazu noch als Höchststrafe vom eigenen Volk verlacht und mit zynischem Beifall bedacht wurde.

Der Charakter eines Siegers zeigt sich vor allem im Verhalten gegenüber dem Verlierer. Deutschlands Spieler, TV-Kommentatoren und eigentlich das gesamte Volk waren frei von aller erbärmlichen Häme. Das Ergebnis wurde während der Schlußphase des Spiels nicht arrogant spielerisch verwaltet, sondern es wurde bis zum Abpfiff verbissen gekämpft.

Keine Mätzchen auf dem Platz. Respekt gegenüber den Brasilianern im Halbfinale mit seinem Ergebnis, das auf jeden Fall in die Geschichtsbücher Einzug halten wird. Nach dem Abpfiff wurde getröstet, umarmt, ja eigentlich fast mitgelitten, wegen der miesen, gedrückten seelischen Verfassung der Gegenspieler aus dem Gastgeberland.

Was 2006 beinahe gelang und Deutschland ähnlich wie bei der ersten gewonnenen Weltmeisterschaft 1954 (als noch Tausende Wehrmachtssoldaten in russischen Lagern steckten) wieder in einen regelrechten Patriotismustaumel versetzte, ist nun wahr: Weltmeister! Insgesamt 23 Spieler, auch die auf der Bank, haben gekämpft und gehofft. Mit Seele, Herz und Körper. Schweinsteiger im Endspiel mit Schmiß unterm Auge, Löw an der Linie mit einer Leidenschaft, die ihresgleichen sucht.

Während er als Co-Trainer 2006 die Kärrnerarbeit verrichtete und Jürgen Klinsmann den Triumph für Platz drei, inklusive Bundesverdienstkreuz einheimste, tat Löw schlicht seine Arbeit. Er beschwerte sich nicht, erklärte sich nicht, stellte sich vor seine Mannschaft – auch in schlechten Zeiten. Der Erfolgstrainer stammt aus Schönau bei Lörrach. 2.500 Einwohner. Hier wird noch gearbeitet, nicht gelabert, gezickt oder gepost. Achtung bekommt man in dieser Gegend lediglich durch Leistung.

Oder ein Typ wie Mario Götze: Geboren 1992, zwei Jahre nachdem im Jahr der deutschen Wiedervereinigung, 1990, die deutsche Mannschaft den dritten Weltmeistertitel erkämpfte. Und dieser Typ, der noch ein bißchen an einen Schulbuben aus dem Reihenhaus nebenan erinnert, stürmt, kaum eingewechselt, auf den Platz und ballert Deutschland zum Sieg. Sieben Minuten vor Schluß. Er stelzt nach dem Treffer nicht, er spreizt sich nicht, er läuft los und jubelt gemeinsam mit seinen Mannschaftskameraden. Man kann sich kaum vorstellen, daß irgendwelche Gutmenschen so einem Jungen eine Diskussion über Kriegsschuld, Genderisierung, Homophobie oder anderen politisch korrekten Kram auf die Backe nageln könnten. Er würde verständnislos gucken und eventuell sagen: „Was habt ihr denn für ein Problem?“ Kurz gesagt: Der Weltmeister wäre sicher irritiert. Sehr irritiert. Er ist der rennende Beweis für eine neue, gottseidank selbstbewußte Generation, die hier heranwächst.

Überhaupt ist diese Fußballmannschaft von 2014 ein Spiegel des gesamten (neuen) Volkes. Es ist in den Jahren seit der deutschen Einheit immer deutlicher zu spüren, daß die Verdruckstheit im Lande schwindet. Aus der alten Bundesrepublik wird langsam aber sicher wieder Deutschland. Der Stolz auf eigene Leistungen, die Nation wächst, während die Arbeitslosenrate sinkt, die Wirtschaft stabil dasteht. Leidenschaft und Perfektion, deutsche Urtugenden brechen sich Bahn.

Auch wenn das selbsternannten „Antinationalisten“, moralinsauren 68ern oder einfach den Deutschhassern nicht behagt. Der Jubel nach dem 1:0 aus Millionen Kehlen – ob in Berlin, Dresden, München, Hamburg, Frankfurt oder auf dem Land – wurde in der ganzen Welt wahrgenommen. Deutschland ist durch den WM-Titel größer, doch nicht größenwahnsinnig geworden. Erfolgreiche Kämpfer werden geliebt. Das ist so in China, Afrika oder Amerika, kurz weltweit. Vielleicht auch deshalb gönnen so viele den fröhlich-selbstbewußten, patriotischen Deutschen diesen Erfolg. So darf es gern bleiben.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen