© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/14 / 18. Juli 2014

Neue Wirklichkeit
Spionage-Affäre: Die deutsch-amerikanischen Beziehungen ändern sich grundlegend
Karl Feldmeyer

Respice finem – bedenke das Ergebnis“ lautete eine der geflügelten Sentenzen, die Franz Josef Strauß als CSU-Vorsitzender und bayerischer Ministerpräsident bei passender Gelegenheit von sich gab. Diese Mahnung gilt derzeit wieder; für beide Seiten, den amerikanischen Präsidenten wie die Bundeskanzlerin. Beide Politiker haben anläßlich der deutsch-amerikanischen Spionageaffäre Grund dazu.

Der Sachverhalt liegt offen zutage: Die amerikanische Regierung verhält sich gegenüber ihrem deutschen Verbündeten illoyal. Sie spioniert nicht nur in Deutschland, nein sie spioniert das Land selbst und seine Regierung aus. Was mit dem NSA-Skandal und dem Abhören der Telefone der Bundeskanzlerin und anderer Regierungsstellen begann, weitet sich inzwischen nahezu im Tagesrhythmus weiter aus. Erst fliegt ein Spion im Verteidigungsministerium auf, dann folgten Verdächtige in Bundestag, Wirtschafts- und Entwicklungshilfeministerium.

All das läßt erkennen, es handelt sich nicht um einen Einzelfall des größten aller amerikanischen Geheimdienste, kurz NSA genannt, sondern um ein Netzwerk, an dem auch der CIA beteiligt ist und das die gesamte Bundesrepublik überzieht. Das zwingt uns – ganz gegen unseren Willen – zu der Erkenntnis, daß das, was als Grundlage jeden belastbaren Bündnisverhältnisses unverzichtbar ist, nämlich Vertrauen, auf amerikanischer Seite fehlt. Kein Zweifel ist möglich: Amerika mißtraut uns.

An diese Feststellung knüpfen sich einige weitere Beobachtungen. Deutschland, so scheint es, ist der einzige Verbündete Amerikas, der sich in dieser Lage befindet. Wie sich das Innenverhältnis zwischen Washington und London, Washington und Paris ausnimmt, wissen wir nicht, jedenfalls ist von dort kein vergleichbares Verhalten bekannt. Ebensowenig gibt es von dort öffentlich bekannte Irritationen über derartige Vorgänge.

Seit mehr als einem Jahr ist die Ausspähung Deutschlands durch Edward Snowdens Enthüllungen bekannt. Dies belastet unser transatlantisches Verhältnis erheblich. Dennoch lehnt Präsident Obama bis heute eine Korrektur dieser Entscheidung ab, wenn man davon absieht, daß er das Abhören des Telefons der Bundeskanzlerin einstellen ließ.

Dies und die weitgehende Gleichgültigkeit, auf die der Fall sowohl in der politischen wie publizistischen Öffentlichkeit Amerikas bisher gestoßen ist, hat die Bundeskanzlerin nun, nach Bekanntwerden weiterer Spionagefälle gezwungen, öffentlich zu reagieren. Sie hat den Leiter der amerikanischen Spionage in Deutschland kurzerhand aufgefordert, das Land zu verlassen. Ein solcher Schritt ist in der Geschichte der deutsch-amerikanischen Beziehungen der vergangenen sechs Jahrzehnte ohne Beispiel. Dabei hatte Merkel, die den ganzen Spionagefall über ein Jahr hin so gut es ging herunterzuspielen versucht hatte, keine Wahl, wollte sie ihr Gesicht als Regierungschefin eines souveränen Landes wahren.

So offenkundig der Grund für Merkels Entscheidung ist, so unerklärlich ist das Festhalten Obamas an seiner Position. Er weiß, daß kein Bündnispartner einen derartigen Umgang mit seiner Souveränität hinnehmen kann, ohne sein Gesicht und seinen Anspruch auf Selbstachtung und Unabhängigkeit aufzugeben. Wenn er dennoch gegenüber Deutschland auf dieser Position beharrt, so kann nicht mehr ausgeschlossen werden, daß er genau dies will. Nur warum?

Der Preis dafür ist hoch: Obama kränkt damit nicht nur einen Partner, sondern er zerstört das besondere Verhältnis zu ihm. Kurz das Vertrauensverhältnis. Auch wenn die Bundesrepublik an ihrem Bündnis und den engen Beziehungen zu Amerika schon aus schierem Eigeninteresse nichts ändern wird: Die innere Qualität, die mentale Bindung an Washington hat sich verändert.

Diese Bindung an Amerika hatte in der alten Bundesrepublik bis 1989 bei der großen Mehrheit der Bevölkerung eine ganz andere Intensität als bei den übrigen Bündnispartnern. Für die Westdeutschen war Amerika die Garantie, der sowjetischen Bedrohung zum Trotz in Freiheit leben zu können. Es ist dieser emotionale Kern, der das deutsch-amerikanische Sonderverhältnis in den vergangenen Jahrzehnten ausgemacht und dem Amerika nun ohne Not einen Schlag mit noch unabsehbaren Folgen für das mentale Beziehungsgeflecht zugefügt hat.

Kanzlerin und Bundesregierung haben sich nach Snowdens Enthüllungen wie Aale gewunden, um zu verhindern, daß die Affäre im öffentlichen Bewußtsein negative Auswirkungen hat. Aus gutem Grund, denn es gibt für Deutschland keinen Ersatz für die Vereinigten Staaten als Bündnispartner. Ihren Verlust könnte Berlin nicht kompensieren, weder mit noch ohne Europäische Union. Deshalb hat Merkels Reaktion Züge von Notwehr, die sie nur zu gern vermieden hätte. Sie ist quasi dazu gezwungen worden.

Nun befinden wir uns in der von Obama geschaffenen neuen Wirklichkeit. Zu ihr gehört die geradezu ertrotzte Distanzierung. Die aber schafft für Berlin ein verändertes Verhältnis zu Washington. Die erzwungene Distanz ergibt aber auch einen erweiterten Spielraum für die deutsche Politik, den sie unbefangener und ohne die bisherige Rücksicht auf amerikanische Wünsche ausnutzen kann.

Vielleicht fördert das in Amerika die Bereitschaft, über seine bisherige Einstellung und offenkundige Geringschätzung – um nicht zu sagen: Verachtung – für einen loyalen Bündnispartner nachzudenken, der sich nichts weniger gewünscht hat als dieses Ergebnis.

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