© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/14 / 18. Juli 2014

VW Golf. Er ist Deutschland! Kein anderes Auto spiegelt so die deutsche Gegenwart
Er läuft und läuft
Christian Vollradt

Der Golf – das Auto“, so spricht Volkswagen ganz unbescheiden von seinem nunmehr vierzigjährigen Verkaufsschlager: Der Deutschen Lieblingsauto, zumindest kaufen sie kein anderes häufiger. Weil er typisch Auto ist – und irgendwie eben auch typisch deutsch: solide und praktisch, eher bieder als chic, aber zuverlässig. Etwas, das zum Maßstab für alle anderen geworden ist; die allerdings den deutschen Platzhirsch in die Zange nehmen, indem sie für weniger Geld mehr bieten. Der Golf ist ein Auto für jeden, für Jung und Alt, Arbeiter und Akademiker, Mann und Frau – quasi der „Trabi“ der Sozialen Marktwirtschaft, das automobile Abbild der deutschen Konsensgesellschaft, produziert in einem halbstaatlichen Konzern, einem Prototyp des Rheinischen Kapitalismus.

Vielleicht gehört zum typisch Deutschen der Golf-Historie auch die Tatsache, daß am Beginn dieser wirtschaftswunderlichen Erfolgsgeschichte eine existentielle Krise stand. Als das neue VW-Modell im Frühsommer 1974 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, steckte die gesamte deutsche Autoindustrie in ihrer bis dahin tiefsten Absatzflaute. Weil die Nachfrage zurückging, waren gegenüber den ersten sechs Monaten des Vorjahres die Produktionszahlen um zwanzig Prozent gesunken. Eine der Ursachen für die Zurückhaltung der Kunden war die Ölkrise im November 1973; auf einmal spielte die Frage des Benzinverbrauchs eine größere Rolle bei der Kaufentscheidung. Der legendäre VW Käfer war nicht mehr auf der Höhe der Zeit, im Juli 1974 rollte nach fast dreißig Jahren Produktion im Stammwerk der letzte als Nummer 11.916.519 vom Band und machte endgültig dem Nachfolger Platz.

Der Golf brach mit Wolfsburger Traditionen: Kante statt Kugel im Design, Wasser- statt Luftkühlung beim Motor, Front- statt Heckantrieb, Kofferraum hinten statt vorn. Siebzig Pferdestärken aus knapp 1.500 Kubikzentimetern lieferte das Grundmodell des in unserer Zeichnung abgebildeten Golf I, der in Deutschland bis 1983 (sechsmillionenmal), in Südafrika (unter dem Namen Golf Citi) sogar bis 2009 gebaut wurde. Strenggenommen ist dieser Ur-Golf ein Deutscher mit „Migrationshintergrund“: Denn kein Geringerer als der italienische Star-Designer Giorgio Giugiaro entwarf seine Hülle. Mit der Zeit wuchs der Golf, die Intervalle des Modellwechsels wurden kürzer, mittlerweile ist die siebte Generation am Start.

Den Golf gibt es nun auch elektrisch, denn die Deutschen sind umweltbewußt; es gibt ihn als Golf Plus erhöht (zum leichteren Einsteigen), denn die Deutschen sind alt. Und sie werden weniger, weswegen für Absatz und Gewinn die ausländischen Märkte (vor allem in Asien) immer wichtiger sind. Noch aber geben die Leute hierzulande gern Geld fürs Automobil aus, in Wolfsburg verläßt im Schnitt alle 21 Sekunden eines das Werk. Und der Golf? Ist vierzig und läuft. Und läuft. Und läuft.

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