© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/14 / 18. Juli 2014

Neuer Aufbruch
Bund der Vertriebenen: Durch den Abschied von BdV-Chefin Erika Steinbach wird sich die Ausrichtung des Verbandes verschieben
Martin Schmidt

Bernd Fabritius, Vorsitzender des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, hob beim diesjährigen Heimattag zu Pfingsten in Dinkelsbühl vor allem eines hervor: die vielen jungen Leute „mit ganz klaren Bekennungszeichen zu unserer Gemeinschaft“. Er sprach sogar von einem „Heimattag der Jugend“.

Und tatsächlich: Sieht man sich die Bilder dieser landsmannschaftlichen Großveranstaltung an, so fallen die zahlreichen jüngeren Mitglieder in den Heimatortsgemeinschaften, den Trachten- und Tanzgruppen, den Chören und den typisch sächsischen „Nachbarschaften“ auf. Nachwuchsprobleme gibt es offensichtlich keine, statt dessen organisatorische Vitalität, generationenübergreifendes siebenbürgisches Heimatbewußtsein und Gemeinschaftssinn. Hinzu kommt ein Stolz, der sich nicht allein aus Vergangenem speist, sondern ebenso auf das Heute bezogen ist, etwa wenn Fabritius betont, „daß die Siebenbürger Sachsen gerade in Rumänien wegen ihrer Werte, ihres Siebenbürgisch-Sächsisch-Seins sehr geschätzt werden“. Selbstbewußt erklärte er: „Wir leben nicht nur in der Vergangenheit und in der Gegenwart, sondern wir leben insbesondere in der Zukunft – und zwar als Siebenbürger Sachsen.“

Zukunftsorientierung gepaart mit dem Bewußtsein der besonderen Herkunft könnte als Leitmotiv über der Präsidentschaft von Bernd Fabritius im Bund der Vertriebenen (BdV) stehen. Die für November vorgesehene Übergabe der Verantwortung im Dachverband der Vertriebenen und Aussiedler von Amtsinhaberin Erika Steinbach an den 49 Jahre alten Rechtsanwalt und CSU-Bundestagsabgeordneten (JF 29/14) dürfte mit einem Paradigmenwechsel einhergehen.

Breite, gebildete Führungsschicht

Vieles spricht dafür, daß unter der Führung des 1965 im rumänischen Agnetheln geborenen Fabritius die Koordinaten des BdV personell, geographisch, ideell und strategisch verschoben werden. Zunächst einmal verändert sich mit dem Vorsitzenden des wohl dynamischsten, mit reichlich intellektuellem Humankapital ausgestatteten Mitgliedsverbandes – die Siebenbürger Sachsen verfügen seit Jahrhunderten über eine breite gebildete Führungsschicht und ein außergewöhnlich leistungsfähiges eigenes deutschsprachiges Schulwesen – der Blickwinkel: Das Augenmerk wird sich verstärkt auf die Herkunftsregionen der Aussiedler richten, also in besonderem Maße Rumänien und Rußland. Deren landsmannschaftliche Gliederungen im Bundesgebiet erfuhren durch die Übersiedlerwellen der achtziger und neunziger Jahre eine demographische Frischzellenkur. Die jahrzehntelang tonangebenden Landsmannschaften aus dem historischen Ostdeutschland, die noch unter der Westpreußin Steinbach im BdV die Akzente setzten, sind dagegen völlig überaltert und personell wie finanziell derart schwach, daß es wenig Anknüpfungspunkte gibt für einen Neuanfang oder gar für Aufbruchsstimmung.

Vor diesem Hintergrund, dessen Ursachen vielfältig sind und wohl nur zu einem kleinen Teil den Vertriebenenverbänden selbst angelastet werden können, erklärt sich Erika Steinbachs bewundernswerter Einsatz für einen zumindest kulturgeschichtlichen Platz der vertriebenen und geflüchteten Landsleute im kollektiven Bewußtsein der Deutschen. Das Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin ist der Dreh- und Angelpunkt dieser Hoffnungen, flankiert vom Auf- und Ausbau einer eigenen Museumslandschaft: Pommernmuseum in Greifswald, Ostpreußisches Landesmuseum in Lüneburg, Westpreußenmuseum in Münster, Schlesisches Landesmuseum in Görlitz, Oberschlesisches Museum in Ratingen, Donauschwäbisches Zentralmuseum in Ulm, Siebenbürgisches Landesmuseum in Gundelsheim usw.

Andere mögliche Arbeitsschwerpunkte, die sich gerade nach dem Umbruch im östlichen Europa nach 1989 eröffneten, wurden demgegenüber vernachlässigt: eine koordinierte Vor-Ort-Unterstützung heimatverbliebener deutscher Bevölkerungsgruppen etwa in Oberschlesien oder Ungarn, die gezielte Knüpfung kommunaler deutsch-polnischer, deutsch-tschechischer, deutsch-slowakischer und anderer Partnerschaften unter Einbeziehung der Organisationen von Vertriebenen und Aussiedlern oder die Vertretung gegenwarts- und zukunftsorientierter minderheitenpolitischer Interessen in der hiesigen wie der europäischen Volksgruppen- und Regionalpolitik.

Vielleicht reichten für diese Inhalte die personellen Ressourcen schon nicht mehr aus, wahrscheinlich fehlte es im BdV aber auch am nötigen Willen. Auf letzteres deutet die Tatsache hin, daß sich im Rückblick auf die vergangenen zweieinhalb Jahrzehnte sehr wohl manche erfolgversprechende Aktivitäten jenseits der geschichtspolitisch-musealen Ebene finden lassen, allerdings weitgehend außerhalb oder nur ganz am Rande des BdV-Netzwerks.

Die Landsmannschaften aus den Oder-Neiße-Gebieten halten bis heute an ihren grundsätzlich berechtigten, aber eben auch wenig erfolgversprechenden „Kämpfen“ um Restitutionen des geraubten Besitzes und zumindest moralische Wiedergutmachungsleistungen fest. Mehr als Lippenbekenntnisse waren und sind hier von den maßgeblichen Politikern aber nicht zu haben, und die Massenmedien zeigen sich diesen Anliegen gegenüber entweder desinteressiert oder feindselig.

Der spätestens in den siebziger Jahren eingeschlagene Weg als parteipolitische Vorfeldorganisation von CDU/CSU erwies sich als Sackgasse. Die eigene personelle Basis und das Gewicht bei Wahlen wurden immer geringer, die Möglichkeiten der in die Parteistrukturen eingebundenen Vertriebenenfunktionäre zu Einflußnahmen ebenso. Selbst das Großvorhaben des Zentrums gegen Vertreibungen wurde dem Bund der Vertriebenen Stück für Stück aus der Hand genommen. Erika Steinbach bekam nicht einmal einen Sitz im Stiftungsrat und muß nun mit ansehen, wie der Aufbau „ihres“ Zentrums von politisch-ideologischen Vorgaben überlagert wird.

Der Verlust der Heimat in den Ostprovinzen des Reiches sowie den Siedlungsgebieten von Deutschen in Ostmittel- und Südosteuropa wird in einem solchen Maße in die europäische Vertreibungsgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts „eingebettet“ und durch mehr oder weniger überzeugende sogenannte „Kontextualisierungen“ historisch erklärt beziehungsweise im Extremfall gerechtfertigt, daß vom eigentlichen Ziel – einem Erinnerungszentrum für deutsche Flucht- und Vertreibungsopfer und deren Herkunftsgebiete – wenig übrigbleibt.

Der Frust über diese Nichtbeachtung beziehungsweise Ablehnung seitens der Altparteien mag Erika Steinbach mit dazu veranlaßt haben, am 1. Juni in einem Interview mit Spiegel Online deutliche Sympathien für die Alternative für Deutschland (AfD) zu zeigen. Sie beklagte den Verlust konservativen Profils in der Union und sagte zur AfD, diese sei „ebenso unser Konkurrent wie unser möglicher Partner“. Nicht wenige im Vertriebenenspektrum dürften ähnlich denken und große Hoffnungen auf die – noch ausstehende – programmatische Positionierung der AfD in den entsprechenden Politikfeldern setzen.

Welche Alternativen bieten sich nun für einen künftigen BdV-Präsidenten Bernd Fabritius? Seine wohl wichtigsten Aufgabenfelder lassen sich in fünf Punkten zusammenfassen:

1. Konzentration der Öffentlichkeitsarbeit auf gerade für jüngere Menschen attraktive landsmannschaftliche Aktivität, wie es vor allem Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben sowie ansatzweise auch die Sudetendeutschen in einer lebendigen, gegenwarts- und zukunftsbezogenen Zusammenarbeit mit den Herkunftsregionen praktizieren.

Abkehr von der engen Bindung an die Union

2. Fortgesetzte Erneuerung – sprich: Verjüngung – der landsmannschaftlichen Führungsebenen im Zusammenspiel mit der Zusammenlegung kaum noch handlungsfähiger Landsmannschaften zu organischen Verbünden (beispielsweise von Ost- und Westpreußen, Pommern und Danzigern zu einer einzigen Vereinigung).

3. Prägung der großen landsmannschaftlichen Heimatmuseen sowie nach Möglichkeit des 2016 eröffnenden Berliner Zentrums gegen Vertreibungen im Sinne einer umfassenden historischen Versöhnungsarbeit, bei der abweichende nationale Blickwinkel auf die Zeitgeschichte ausdrücklich erhalten bleiben dürfen (statt übernationalen, quasi „europäischen“ Standardisierungen, wie sie sich in den gemeinsamen deutsch-französischen und deutsch-polnischen Schulbuchprojekten manifestierten und zwar häufig zu Lasten spezifisch deutscher Geschichtsauffassungen) plus Profilierung dieser Einrichtungen durch eine rege grenzübergreifende Ausstellungs- und Seminartätigkeit, die in den öffentlichen Raum ausstrahlt und die wissenschaftlich-mediale Diskussion nachhaltig anregt.

4. Wandlung des Selbstverständnisses von einem eng an CDU/CSU angebundenen vorpolitischen Verband hin zu einer überparteilichen Lobby, die strategische Chancen, wie sie sich gerade mit dem Aufkommen der AfD als neuer bürgerlich-konservativer Kraft bieten, im Sinne der eigenen Ziele geschickt zu nutzen versteht.

5. Deutlicherer Einsatz für solche Vorhaben auslandsdeutscher Minderheiten, die deren Zukunft speziell im Schul- und Bildungsbereich gewährleisten können und mediale Einordnung dieser Hilfen in die in vollem Gange befindlichen identitären Prozesse in einem „Europa der ethno-kulturellen Vielfalt“ (Schottland, Katalonien, Oberitalien).

Die Ausgangsposition, aus der Bernd Fabritius diese Herausforderungen angehen muß, ist sicherlich alles andere als gut. Immerhin könnte er der richtige Mann sein.

Foto: Siebenbürger Sachsen in ihrer Tracht: Keine Nachwuchsprobleme

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