© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/14 / 18. Juli 2014

Er warf der Gegenwart ihre Häßlichkeit vor
Von konservativer Gesinnung: Zur Erinnerung an den vor fünfzig Jahren verstorbenen Publizisten und Literaturkritiker Friedrich Sieburg
Karlheinz Weissmann

Mit Friedrich Sieburg ist es eine merkwürdige Sache. Er gehörte unbestritten zu den zentralen Figuren der deutschen Geistes- und Kulturgeschichte des vergangenen Jahrhunderts, von der Zwischenkriegs- über die Kriegs- bis in die Nachkriegszeit hinein. Das Interesse an seiner Biographie, weniger an seinem Werk, ist bis heute ungebrochen. Gleichzeitig galt er schon zu Lebzeiten als wandelnder Anachronismus, ein Mann von außergewöhnlicher Bildung und ein begnadeter Stilist, aber auch ein Snob, in der Belle Epoque vorstellbar, aber nicht in einer modernen Gesellschaft, ein Bürger, der das gute Leben kannte und genoß – Gottfried Benn nannte ihn „sublim und lukullisch, gepflegt und opulent“ – und der Gegenwart ihre Häßlichkeit vorwarf, und doch ein Freund der „Asphaltliteratur“ und Gegner jeder spießigen Idylle.

Die politische Dimension ist damit noch gar nicht im Spiel, das heißt der in seinen späten Jahren und bis heute regelmäßig erhobene Vorwurf, Sieburg sei Handlanger des NS-Regimes gewesen, im Grunde ein unverbesserlicher „Faschist“, und seine Tätigkeit in Frankreich als Journalist wie als Mitglied des diplomatischen Dienstes habe nur der Tarnung des Agenten gedient. 1961, drei Jahre vor seinem Tod, stellte Giselher Wirsing, einer der einflußreichsten Journalisten der frühen Bundesrepublik, ganz nüchtern fest: „Sieburg hat Bewunderer, aber keine Verteidiger.“

An dieser prekären Lage war Sieburg nicht unschuldig. Seine Kritiken gehörten zu den unerbittlichen, im Lauf der Zeit hatte er sich in zahllose Feuilletonfehden verwickelt und vor allem den Zorn der jungen linken Literaten auf sich gezogen, denen er vorwarf, daß sie zuviel diskutierten und zuwenig schrieben, daß sie Gesinnungstüchtigkeit mit Qualität verwechselten. Aber das war es nicht allein. Die Aversion, die Sieburg auf sich zog, hing auch mit der Art und Weise zusammen, in der er nach dem Zusammenbruch politisch Position bezog. Zu Beginn der fünfziger Jahre mochte es noch hingehen, wenn er erklärte, die wichtigste kulturpolitische Aufgabe bestehe darin, „den Begriff eines deutschen Vaterlandes wiederzugewinnen“, aber relativ rasch zeigte sich, wie isoliert er mit diesem und anderen Versuchen der Wiederanknüpfung war. Daran konnte auch die Tatsache nichts ändern, daß Sieburg als Mitarbeiter, dann als Mitherausgeber der Wochenschrift Die Gegenwart, später als Literaturchef der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über erheblichen Einfluß verfügte. Die progressive Intelligenz verzieh ihm weder seine Sympathie für Adenauer noch seine ironischen Stellungnahmen, die sie sowenig schonten wie die neue Selbstzufriedenheit des Wirtschaftswunderlands. Und selbstverständlich neidete man ihm den Erfolg, den seine zeitkritischen Arbeiten – vor allem das 1954 erschienene „Lust am Untergang“ – und jene gehobenen Sachbücher fanden, in denen er sich mit Aspekten der französischen Geschichte befaßte („Napoleon. Die hundert Tage“, 1956; „Chateaubriand. Romantik und Politik“, 1959).

Er prägte das Frankreichbild einer ganzen Generation

Sieburg knüpfte mit letzteren an seinen ersten großen Erfolg an, das 1929 veröffentlichte Buch „Gott in Frankreich?“ (in späteren Auflagen fiel das Fragezeichen weg). Es handelte sich dabei vor allem um den Niederschlag seiner Tätigkeit als Pariser Korrespondent der Frankfurter Zeitung. Drei Jahre hatte er zu dem Zeitpunkt schon in der französischen Hauptstadt verbracht, es folgte ein kurzer Abstecher nach London, dann die Rückkehr und der Verbleib bis zum Kriegsausbruch 1939. „Gott in Frankreich?“ prägte das Frankreichbild einer ganzen Generation. Das hatte auch damit zu tun, daß Sieburg klassische Vorstellungen der Völkerpsychologie und das Selbstverständnis der französischen Elite – was etwa die Bedeutung der cartesianischen „clarté“ betraf – sehr gekonnt mit historischen Exkursen, eigenen Beobachtungen und Anekdoten verknüpfte.

Spätere Versuche, das Buch als „nationalistisch“ zu entlarven, krankten nicht nur daran, daß auch die französische Ausgabe breites Interesse und Zustimmung fand, sondern auch an der Unmöglichkeit, die Neigung Sieburgs für sein Gastland wegzuerklären. Sieburgs Frankophilie war unbestreitbar, er gehörte allerdings nicht zum „inneren Frankreich“, das heißt nicht zu jener Kulturpartei in Deutschland, die seit je alles vorbehaltlos verehrt, was von der anderen Rheinseite kommt. Seine Sympathie war keine naive, er beharrte darauf, daß das Wesen der Deutschen und der Franzosen grundverschieden sei, aber von Rachebedürfnis oder Herabsetzung keine Rede.

Zwischen Innerer Emigration und Anpassung

Man muß das auch deshalb betonen, weil Sieburgs politische Position sich seit dem Ende der zwanziger Jahre deutlich nach rechts verschoben hatte. Eine Entwicklung, die keineswegs vorgezeichnet war. Der 1893 in Altena Geborene entstammte einem liberalen Milieu, hatte zwar sein Studium der Philosophie, Geschichte und Literaturwissenschaft bei Kriegsbeginn unterbrochen und als Soldat gedient, aber beim Zusammenbruch des Kaiserreichs eher mit den Revolutionären und dann mit den neuen Herren sympathisiert.

Der Umschlag wurde erkennbar, als er 1929 einen programmatischen Text in der Zeitschrift Die Tat veröffentlichte und dann ein Buch schrieb – „Es werde Deutschland“ –, dessen Inhalt den Ideen der Konservativen Revolution zuzuordnen ist. Wegen des Erscheinungsdatums 1933 hat man es gelegentlich als Parteinahme für den Nationalsozialismus lesen wollen. Aber das Manuskript war schon vor der Regierungsübernahme Hitlers abgeschlossen, die Argumentation offensichtlich grundsätzlicher Art und die Eignung als Propagandaschrift begrenzt; Sieburgs Aversion gegenüber dem Antisemitismus führte 1936 sogar zu einem Vertriebsverbot.

Die Position, die Sieburg in der NS-Zeit einnahm, ähnelte der anderer Jungkonservativer, die zwischen Innerer Emigration und Anpassung schwankten. Von vollständiger Ablehnung konnte deshalb sowenig die Rede sein wie von klagloser Unterwerfung. Das erklärte auch, warum Sieburg 1939 der Aufforderung des Außenministeriums nachkam, sich für den Kriegseinsatz zur Verfügung zu stellen. Er wurde als Sonderbeauftragter zuerst an der deutschen Botschaft in Brüssel, dann in Paris tätig. Zu Sieburgs Aufgaben gehörte in erster Linie die Nutzung seiner schon bestehenden Kontakte zwecks Einflußnahme auf französische Künstler, Schriftsteller und Journalisten, um sie für die Idee des „Neuen Europa“ unter deutscher Führung zu gewinnen.

Lange dauerte diese Phase aber nicht. 1942 kehrte Sieburg nach Deutschland zurück und arbeitete wieder als Journalist, ohne noch besonders hervorzutreten. Bei Kriegsende verhängte die französische Besatzungsmacht ein Publikationsverbot, aber schon 1948 konnte Sieburg seine Tätigkeit wieder aufnehmen.

Sieburg gehörte in Westdeutschland rasch zu denen, die Gehör fanden, und die Entwicklung bis in die zweite Hälfte der fünfziger Jahre erfüllte ihn mit vorsichtigem Optimismus: „Das Odium, das der konservativen Gesinnung aus der Zeit vor den beiden Weltkriegen noch anhaften mochte, ist dahin. Die Bevölkerung wünscht das zu bewahren, was ihr – nicht zuletzt dank ihres Fleißes – in den bisherigen Jahren der Aera Adenauer zugewachsen ist ...“ Aber er ahnte, wie brüchig die Basis dessen war, was er sich als Wiederaufbau wünschte und was andere als „Restauration“ verhöhnten. Kurz darauf hieß es schon resigniert: „Niemals vorher hat eine Zeit so entschlossen nach einer absoluten und bindungslosen Existenz gestrebt wie die unsere. Die Taue zur Vergangenheit sind gekappt. Mit der Fähigkeit, sich in der Vergangenheit zu begegnen, ist das geistige Erbe über Bord geworfen worden und nun vergessen. Die Literatur, soweit sie aus Personen besteht, hat Deutschland im Stich gelassen, ohne sich einer höheren Ordnung zu verpflichten.“

Die „Literatur“, von der er hier sprach, lief Utopien nach, übte das Zensorenamt oder fand ihr Stichwort immer wieder in einer Vergangenheit, die bewältigt werden sollte. Sieburg sah das sehr deutlich, und er war entschlossen, diese Tendenz nicht mitzumachen, wohl wissend, daß der Widerstand einzelner nicht genügte, sie aufzuhalten.

Bis zu seinem Tod vor fünfzig Jahren, am 19. Juli 1964, blieb er unermüdlich in seinem Bestreben, die Maßstäbe zu verteidigen und sich gegen alles zu stellen, was denen nicht genügte, übrigens ganz gleich, woher das kam, was nicht genügte.

Foto: Friedrich Sieburg (1893–1964): Er verteidigte seine Maßstäbe

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