© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/14 / 25. Juli 2014

Im Land der Buckelpisten
Verkehr: Jahrelang haben Bund und Länder Straßen, Brücken und Schienen vernachlässigt, jetzt sind viele Verkehrswege marode
Christian Schreiber

Deutschlands Infrastruktur genießt im Ausland einen vorzüglichen Ruf. Mit Wörtern wie „Autobahn“ und „No Tempolimit“ werden Deutsche bei Besuchen in den Vereinigten Staaten häufig konfrontiert. Doch die Realität sieht mittlerweile anders aus. Die Bundesrepublik zehrt zwar noch von den Investitionen der vergangenen Jahrzehnte, vielerorts ist aber ein massiver Renovierungsstau eingetreten. Die einst hervorragenden Straßen, Brücken und Schienenwege rotten immer häufiger vor sich hin.

Mehrere Veröffentlichungen des arbeitgebernahen Instituts für Wirtschaft (IfW) belegen diese Feststellung und zeigen die Angst in Unternehmerkreisen, Deutschland könne seinen Standortvorteil verlieren. Anfang des Jahres 2014 sahen 64 Prozent der für eine entsprechende Studie befragten 2.800 Unternehmen ihre Geschäftstätigkeit durch Mängel im Straßenverkehrsnetz beeinträchtigt. Auch für andere wichtige Infrastrukturbereiche fiel das Ergebnis nur wenig besser aus: 54 Prozent der Unternehmen bewerteten den Zustand der Kommunikationsnetze als Hemmnis für ihre Arbeit, mit Blick auf eine sichere und bezahlbare Stromversorgung waren es 43 Prozent.

Vor allem der Zustand von Brücken und Straßen bereitet Experten Sorgen. „Seit mindestens zehn Jahren ist es ganz offensichtlich, daß die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland unterfinanziert ist. Es gibt einen deutlichen Investitionsstau, selbst wichtigste Reparaturen werden unterlassen“, klagt der Präsident des Deutschen Verkehrsforums, Klaus-Peter Müller, in der Welt und ergänzt: „Deutschland ist ein Durchgangsland und hat als solches im europäischen Vergleich immer noch ein dichtes und gutes Netz von Straßen, Schienen- und Wasserwegen. Das war und ist eine Stärke unseres Landes, aber wir sind dabei, das zu verspielen.“

Das Institut für Wirtschaft geht aus diesem Grund mit den politisch Verantwortlichen hart ins Gericht: „Der Verkehrsminister bekommt einerseits einfach zuwenig Geld und andererseits gibt es für das Geld, das er zur Verfügung hat, keine brauchbaren Verteilungsinstrumente: Es regiert nach wie vor das Gießkannenprinzip“, hieß es bereits in einer Veröffentlichung vom Sommer 2013. Mehr und mehr dringen besorgniserregende Meldungen an die Öffentlichkeit. Im vergangenen Jahr sahen sich die Behörden gezwungen, die alte Rheinbrücke bei Leverkusen für den Lastverkehr zu sperren. „Die Brücke ist marode, wir stellen laufend Risse im Stahl fest“, hieß es zur Begründung vom Landesbetrieb Straßen NRW. Bis 2025 soll die Brücke abgerissen und neu errichtet werden. Experten sagen ein Verkehrschaos voraus, die betroffene A1 gilt am Kreuz Leverkusen als eines der berüchtigtsten Nadelöhre der Republik.

Selbst im Osten beginnt es wieder zu bröckeln

Die Probleme am Rhein sind beileibe kein Einzelfall. In der Hauptstadt Berlin gibt es im Westen Straßen, deren Belag so kaputt ist, daß die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) ihren Betrieb dort zeitweise eingestellen mußten. „Wir riskieren hier nicht unsere Busse“, hieß es bereits 2012. Seitdem seien dort ein paar Löcher ausgebessert worden, die Straßen nur noch für Anlieger befahrbar. Doch wirklich geschehen sei nichts. Denn die Kassen sind seit Jahren leer. Seit der Wiedervereinigung flossen immense Mittel in den Aufbau Ost. Dies war nötig und so vorgesehen. Doch selbst in den östlichen Bundesländern stehen die ersten Renovierungen wieder ins Haus, während die anfallenden im Westen seit Jahren vor sich hergeschoben wurden. Fast 20 Prozent der Autobahnen und 41 Prozent der Bundesstraßen haben den „Warnwert“ 3,5 bereits erreicht oder überschritten.

Dieser Zustand ist das Ergebnis eines längeren Prozesses. Bereits 1999 warnte eine Kommission vor einer Instandhaltungskrise und forderte eine Aufstockung des Etats für die Straßen. Geschehen ist bis heute nichts. Das Institut für Wirtschaft moniert im Gegenteil, daß „die Gesamtmittel für die Bundesfernstraßen in der mittelfristigen Finanzplanung weit hinter dem geschätzten Bedarf zurückbleiben. Aktuell fehlen jedes Jahr mehr als zwei Milliarden Euro. Diese Finanzierungslücke wird vermutlich sogar weiter anwachsen, da die Baukosten momentan kräftig steigen, die Finanzmittel für die Erneuerung der Straßen aber konstant bleiben sollen.“

Die Teilsperrung der Leverkusener Brücke sei immerhin ein Weckruf gewesen. Im Mai 2013 legte der damalige Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) dem Bundestag seine Strategie zur Brückenertüchtigung vor. Die Finanzmittel des Bundes zur Brückensanierung steigen demnach bis 2015 auf rund 980 Millionen Euro pro Jahr, das ist in etwa dreimal soviel wie in den Vorjahren. „Das ist ein sehr sinnvoller Plan“, kommentierte das IfW, „aber es ist leider noch nicht genug.“

Doch die politische Debatte könnte in den kommenden Monaten an Fahrt gewinnen, denn zunehmend beginnt sich die Öffentlichkeit für dieses Thema zu interessieren. Mitte Juli lief im ZDF die Dokumentation „Kaputtgespart – Droht uns der Verkehrsinfarkt?“ Die Reaktionen fielen teilweise heftig aus: „Unsere Straßen sind die Lebensadern unseres Wohlstandes, und die Verkehrsminister von Bund und Ländern lassen sie seit Jahren verrotten“, kritisierte der Geschäftsführer des Verbandes Güterkraftverkehr und Logistik, Thomas Rackow. Etwa 50 Milliarden nehme die Bundesrepublik pro Jahr durch Mineralölsteuer, Kfz-Steuer und die Lkw-Maut ein.

Undichte Fugen und verrostete Brückenträger

Die Summe würde theoretisch reichen, um das Verkehrsnetz instand zu halten und neue Straßen zu bauen. Doch nicht einmal 20 Milliarden Euro flossen 2013 tatsächlich zurück in Verkehrsprojekte.

Der größte Automobilverband ADAC schlägt seit Jahren Alarm. Vor einigen Wochen stellte er den „Brückentest 2014“ vor; es ist das zweite Mal seit 2007, daß der ADAC eine solche Untersuchung durchgeführt hat. Diesmal wurden 30 Brücken in zehn deutschen Städten getestet, sieben von ihnen fielen glatt durch. Nur vier erreichten ein gutes Urteil, 19 Brücken wurden immerhin mit „ausreichend“ bewertet. Häufigste Beanstandungen waren dabei beschädigte oder undichte Fugen, durch die Feuchtigkeit ins Bauwerk eindringen kann, was die Brücke von innen heraus instabil werden läßt. Zudem seien die Brücken teilweise verrostet, was die Standsicherheit beeinträchtige. Obwohl nur 30 Brücken in zehn Kommunen untersucht wurden, seien die Ergebnisse repräsentativ. „Es ergibt sich ein relativ klares Bild, es herrscht allgemein Handlungsbedarf“, warnte ein Sprecher. Solcher ergab sich nach Durchsicht des Brückentests auch für das Schienennetz. Weitere 135 Eisenbahnbrücken seien laut der DB Netz AG im vergangenen Jahr als so marode eingestuft worden, daß eine Sanierung wirtschaftlich nicht mehr sinnvoll sei. Es fehle an Geld, die Situation sei schwierig.

Das Institut für Wirtschaft beklagt mangelndes perspektivisches Denken von seiten der Politik. Eine gezielte Investition in Straßen, Schienen und Stromnetze sei erforderlich, wobei letztere in einem guten Zustand seien und nur von Zeit zu Zeit modernisiert werden müßten. „Steckt die Politik zehn Milliarden Euro sinnvoll in Straßen, Stromnetze und Co., erhöht das laut Faustformel die Wirtschaftsleistung um 2,5 Milliarden Euro pro Jahr“, schreibt das IfW. Die Investitionen lohnten sich schon nach vier Jahren.

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