© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/14 / 25. Juli 2014

Grüße aus Warschau
Museum des Lebens
Christian Rudolf

Mein liebes Warschau, was hast du dich gemacht! Nach dem EU-Beitritt warst du dein zerschlissenes Aschenputtelkleid endgültig leid und hast dich neu eingekleidet. Hab dir beim Umziehen verstohlen zugeschaut, wie du den Staub der Nachwendezeit nach und nach von der Schulter schütteltest und dir Rouge auf die Wangen pudertest. Wie hübsch du heute wieder aussiehst, mein ehrliches Kompliment!

Durchgrünt, aufgeräumt und heiter präsentiert sich die polnische Hauptstadt, dabei so modern und hip, daß das eine halbe Tagesreise entfernte Berlin ganz neidisch hinüberschielt. Auf zur Erkundungstour! Muranów – das ehemalige jüdische Viertel westlich der Altstadt – war über Jahrzehnte eine bedrückend graue Schlafstadt, sein zentraler Platz zugig und leer. Hier steht das Ghetto-Ehrenmal, hier kniete Willy Brandt.

Das Viertel ist verwandelt, die Ödnis zukunftsfroher Lebendigkeit gewichen.

Doch was ist das! Der Rasen neu angepflanzt, auf Bänken unter Bäumen sitzen Alte und Junge, lesend, plaudernd, in der Sonne dösend. Im Zentrum des Platzes erhebt sich mächtig und filigran zugleich der quadratische Bau des Museums der Geschichte der polnischen Juden. Schon von außen ein Schmuckstück! Das Viertel ist atmosphärisch verwandelt, die einstige Ödnis zukunftsfroher Lebendigkeit gewichen.

Hell und freundlich das Innere. Der Siegerentwurf des finnischen Architektenteams, der unter mehr als hundert Einsendungen den Zuschlag bekam, ist umwerfend und braucht sich vor dem Berliner Libeskind-Bau nicht verstecken: Die Haupthalle entsteht aus einer unregelmäßig gewellten Spalte, die das Haus einmal querdurch zerreißt. Die warmen Hellbraun-Töne des Betons hüllen den Besucher ein. „Die Wände sind sämtlich von Hand geformt, dafür gibt es keine Maschinen“, erläutert uns der aus Tunesien stammende Museumsführer. In der Höhe läuft eine Brücke über den Riß und verbindet die verborgen umlaufenden Galerien.

Wir stehen im Licht. Die Rückwand des Gebäudes – von oben bis unten aus Glas. „In der künftigen Dauerausstellung nimmt der Holocaust nur einen Raum unter vielen ein – das Museum wird nicht ein Ort des Todes sein, sondern des Lebens!“ Mein Blick fällt durch die Scheiben auf den Park, in der Ferne schaukeln Kinder auf dem Spielplatz. Wegen „technischer Probleme“ kann die Ausstellung leider erst Ende Oktober eröffnet werden. Ich lächle in mich hinein: Ein wenig Berliner Lebensart gibt es also auch in Warschau zu entdecken ...

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