© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/14 / 25. Juli 2014

Champion per Dekret
Industriepolitik: Die EU will die Weltmarktführerschaft mit staatlicher Wirtschaftslenkung à la française erzwingen – und kann nur scheitern
Dirk Fischer

Gleich nach seiner Wahl zum Kommissionspräsidenten der Europäischen Union hat Jean-Claude Juncker ein 300 Milliarden Euro schweres Investitionsprogramm angekündigt. Dazu sollen die EU-Fördertöpfe und Kredite der Europäischen Investitionsbank leichter zugänglich gemacht werden.

Die Europäische Union habe nämlich tatsächlich 29 Mitgliedsstaaten. Der 29. sei der Staat, in dem die Arbeitslosen wohnen. Diesen wolle er mit seinem Programm abschaffen. „Die Wirtschaft hat den Menschen zu dienen“, betonte er vor allem in Richtung der sozialdemokratischen Parlamentarier. Im Klartext: Die Regeln des einheitlichen Binnenmarktes sollen keinen Vorrang mehr vor sozialen Belangen haben.

Damit setzt er um, was der EU-Gipfel bereits Ende Juni beschlossen hatte. Erstmals in der Geschichte legten die Staats- und Regierungschefs Leitlinien für die EU-Kommission vor, bei denen Arbeit, Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit ganz oben stehen. Für diese Ziele wurde als Entgegenkommen gegenüber Frankreich und Italien eine Klausel eingefügt, nach der bestimmte öffentliche Investitionen nicht auf die Schuldenstände der Mitgliedsstaaten angerechnet werden – eine Aufweichung des Stabilitäts- und Wachstumspakts.

Diese Entwicklung hat sich schon länger angedeutet, denn seit der scheinbar erfolgreichen Bewältigung der Finanzkrise ist man gegenüber politischen Eingriffen in die Wirtschaft offener. Wenn die Finanzbranche reguliert werden kann, warum nicht auch der Industriesektor? So mahnte der italienische EZB-Präsident Mario Draghi jüngst völlig unverblümt eine gemeinsame Wirtschaftsregierung an: Die Europäische Union solle nicht nur die Finanzpolitik koordinieren, sondern auch die Wirtschaftspolitik.

Bereits 2011 hat die damalige EU-Kommission industriepolitische Leitlinien vorgelegt: Der Anteil der Industrie am Bruttoinlandsprodukt der EU soll bis 2020 von 15,6 auf 20 Prozent steigen. „Wir brauchen mehr europäische Champions“, betonte seinerzeit die niederländische EU-Kommissarin Neelie Kroes. Nach dem geld- und finanzpolitischen Sündenfall bei der Euro-Rettung droht das gleiche jetzt auch auf der realwirtschaftlichen Seite. Die rechtliche Grundlage für eine europäische Industriepolitik hat bereits der Maastrichter Vertrag im Artikel 157 gelegt.

Frankreich verliert an Wettbewerbsfähigkeit

Hinter diesem Paradigmenwechsel steht Frankreich mit seinem traditionellen Interventionismus. Präsident François Hollande fordert schon lange eine Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik, die – anstatt zu sparen – mehr Geld in die Wirtschaft pumpt. Faktisch ist Frankreich eher ein abschreckendes Beispiel als ein Vorbild.

Als die französische Regierung im Frühjahr von Fusionsverhandlungen des Energie- und Bahntechnikkonzerns Alstom – bekannt als Hersteller des Schnellzugs TGV – mit der amerikanischen General Electric erfuhr, versuchte sie, den Verkauf strategisch wichtiger Unternehmen an ausländische Konzerne per Dekret zu unterbinden. Die Verhandlungen liefen ausschließlich über das Wirtschaftsministerium, was einer Enteignung der Aktionäre und Investoren gleichkam. Gleichzeitig holte der Élysée-Palast Siemens als weiteren Bieter ins Boot. Mit dem deutschen Konzern sollte nach dem Vorbild von Airbus ein „europäischer Champion“ geschmiedet werden. Weil Siemens nicht mitzog, entschied sich Frankreichs Regierung doch für den US-Konzern General Electric, der den Vorgaben des Wirtschaftsministeriums stärker entgegenkam. Obendrein beteiligte sich der französische Staat mit 20 Prozent an dem neuen Gemeinschaftsunternehmen.

Bei der Industriepolitik à la française geht es immer um den Versuch, die Weltmarktführerschaft in Hochtechnologiebranchen durch Zusammenballung zu erreichen. Gebracht hat es Frankreich nichts. Peugeot schreibt rote Zahlen und ist gezwungen, mit dem chinesischen Partner Dongfeng zu kooperieren. Der Baukonzern Lafarge wurde von Holcim aus der Schweiz übernommen. Die Industrie in Frankreich trägt nur zu zehn Prozent zum Bruttosozialprodukt bei, beim deutschen Nachbarn jenseits des Rheins sind es 22 Prozent. Das liegt vor allem am fehlenden Mittelstand, der in Frankreich von Abgabenlast und Bürokratie zugunsten der Großkonzerne erdrückt wird. Die Lohnstückkosten sind seit 1999 um 30 Prozent gestiegen.

Auch der Exportsektor hat Weltmarktanteile verloren. Die französische Exportindustrie vermochte nicht vom Aufschwung der Schwellenländer zu profitieren. Auf der Rangliste des Weltwirtschaftsforums ist Frankreich in puncto Wettbewerbsfähigkeit seit 2010 von Platz 15 auf Platz 23 abgerutscht.

Kernproblem: Die Industriepolitiker und die Wirtschaftsbürokratie sind nicht in der Lage, den technologiebedingten Strukturwandel vorauszusehen. Der Versuch, Investitionen in angeblich zukunftsträchtige Branchen zu lenken und dort „europäische Champions“ zu formen, ist eine „Anmaßung von Wissen“ (Friedrich August von Hayek). Welche Investitionen sich lohnen, klärt sich erst im Wettbewerb, der von staatlichen Interventionen auf dem Markt aber gerade behindert wird.

Foto: Europäische Kommandowirtschaft: Arbeiter beim Neubau der EZB-Zentrale im Frankfurter Ostend

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