© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/14 / 25. Juli 2014

Er verachtete die Urteile der Masse
Heimatloser Rechter: Vor siebzig Jahren kam der Schriftsteller und Pilot Antoine de Saint-Exupéry bei einem Flugzeugabsturz ums Leben
Felix Dirsch

Wenn du eine Blume liebst, die auf einem Stern wohnt, so ist es süß, bei Nacht den Himmel zu betrachten. Alle Sterne sind voll Blumen“. Sätze wie dieser aus der Erzählung „Der kleine Prinz“ zieren unzählige Poesiealben. Während solche Aussagen die Suche des Autors nach der tieferen Sinnhaftigkeit von Welt und Dasein verdeutlichen, veranstaltet schon seit geraumer Zeit die Kitschindustrie einen Rummel um das schätzungsweise über 130 Millionen Mal verkaufte Buch – und das, obwohl Saint-Exupéry nichts mehr abgelehnt hat als Vermarktungsstrategien und Kommerz.

Doch Saint-Exupéry verdient eine breitere Rezeption. Der 1900 geborene Sproß einer alten Adelsfamilie wuchs in gehobenen Verhältnissen auf. Als Jesuitenzögling kam er vermutlich früh mit antirepublikanischem Gedankengut in Verbindung. Bereits in jungen Jahren vom Fliegen fasziniert, absolvierte er während des Militärdienstes (kurz nach dem Ersten Weltkrieg) eine Pilotenausbildung. Mit Kurier- und Postflügen in die Kolonien verdiente Saint-Exupéry hauptsächlich seinen Lebensunterhalt. Bei zwei Abstürzen wäre er fast ums Leben gekommen. Ein Beduine bewahrte ihn vor dem Verdursten. Im Zweiten Weltkrieg diente er, was naheliegend ist, bei der Luftwaffe.

Seine Flugerfahrungen reflektierte er unter anderem in dem Roman „Der Südflug“. Auch andere Schriften waren zu Lebzeiten viel gelesen. Für „Wind, Sand und Sterne“ erhielt der Verfasser den Literaturpreis der Académie française.

Im Hinblick auf kulturkritische Einsichten ist Saint-Exupérys Spätwerk von besonderer Bedeutung. Aufgrund technisch-handwerklicher Mängel – der Verfasser arbeitete mit Diktaphon, die Sekretärin hat wohl viele Fehler bei der Transkription zu verantworten –, und einer teilweise unschönen Stilistik (viele Wiederholungen, manche Widersprüche, unklare Anspielungen) ist der postum erschienene Titel „Die Stadt in der Wüste“ (Orginaltitel: „Citadelle“) nicht leicht zu lesen. Der stark aphoristisch gehaltene Text offenbart ein Grunddilemma des Menschen, auf das die Existentialisten immer wieder hingewiesen haben: Humanes Dasein sehnt sich nach Sicherheiten. Es will sich quasi in einer Zitadelle einigeln und wird doch immer wieder angefochten durch die Erfahrungen und Ungeborgenheit des Lebens.

Deutlich wird Saint-Exupérys nationale und konservative Grundhaltung: Er verachtete die träge Masse, lehnte ein allein auf Besitz und Nützlichkeit fundiertes Leben ab und hinterfragte die rechnende Vernunft, die unser Leben fest im Griff hat – in Zeiten von „Big Data“ noch mehr als in Saint-Exupérys Epoche. Selbst in seinen letzten Äußerungen gab er seiner Verachtung für die von ihm vermutete zukünftige Ordnung der Termiten in Menschengestalt Ausdruck. Aus heutiger Perspektive ist hier eine vorweggenommene Schelte des Antidiskriminierungs-Egalitarismus unserer Tage zu erkennen.

Saint-Exupéry trat für die Rechte des Einzelnen gegen die Masse ein. Seine Anspielungen verraten Parallelen zu Ortega y Gassets Analysen. Die richtig verstandene Freiheit veredle den Menschen, Tyrannei verrohe ihn. Die Anklage des adeligen Freiheitsliebhabers ist impulsiv: „Ich hasse meine Zeit, in der ein weltumspannender Totalitarismus den Menschen zu einem sanften, gefügigen und stillen Stück Vieh macht.“ An anderer Stelle schreibt er: „Verachte deshalb die Urteile der Masse. Denn sie führen dich auf dich selbst zurück und hindern dich am Wachsen.“

Die Aufzeichnungen in „Die Stadt in der Wüste“ offenbaren einen dezidiert christlichen Standpunkt. Maßgeblich für den Schriftsteller war der Einsatz für die christlich-abendländische Kulturordnung. Den Säkularismus betrachtete er als Übel. Manches mag sich schwärmerisch anhören. Sein tiefer Glaube war davon jedoch unberührt. Seine bekannte und oft hervorgehobene Menschenfreundlichkeit hat hier wohl ihre näheren Wurzeln. Mit Recht hat man die wichtigste Botschaft seines weltanschaulichen Hauptwerkes in dem dringenden „Ruf an den Menschen“ gesehen, daß er „sich dadurch über sich selbst zu erheben“ vermag, „daß er sich für Größeres als er selbst einsetzt“ (Helmut Eitzenberger).

In Saint-Exupérys Texten scheint immer wieder eine intensive patriotische Haltung durch. Nach der Niederlage seines Landes 1940 hatte er sich, seinem Eid auf die Republik entsprechend, deren Prinzipien er keineswegs kritiklos anhing, für Charles de Gaulle und gegen Philippe Pétain entschieden. Einige Vertraute, an prominenter Stelle Pierre Drieu la Rochelle, mutierten hingegen zu Kollaborateuren. Eine Entscheidung pro Vichy empfand Saint-Exupéry als Verrat an Frankreich, nicht zuletzt wegen der massiven antisemitischen Tendenzen des mit Hitler verbündeten Regimes.

Seine Botschaften werden kaum verbreitet

Man hat „Saint-Ex“ als „heimatlos rechts“ eingeordnet, so der junge Publizist Benedikt Kaiser. Direkte und indirekte Verbindungen zu Henry de Montherlant, Ernst Jünger und Georges Bernanos liegen auf der Hand. Auch Alain de Benoist hat einige Übereinstimmungen mit dem jung Verstorbenen hervorgehoben. Ein partieller Verwandter im Geiste ist weiterhin Arnold Gehlen, dessen Verdikt gegen den „Humanitarismus“ in Saint-Exupérys Roman „Flug nach Arras“ wie folgt klingt: „Man kann nur innerhalb einer Einheit Bruder sein. Wenn es kein einendes Band für sie gibt, sind Menschen nebeneinander gestellt und nicht miteinander verbunden. Man kann nicht Bruder schlechtweg sein.“ Nichts hätte Saint-Exupéry mehr abgestoßen als das meist inhaltsleere Gerede von der globalen Solidarität und der omnipräsente, moralisierende Betroffenheits- und Schuldkult unserer Tage.

Jahrzehnte hat man über die genaueren Umstände von Saint-Exupérys Lebensende viel spekuliert. Selbst Suizid-absichten wurden ihm unterstellt. Ein deutscher Ex-Luftwaffenpilot gestand vor einigen Jahren, die literarische Legende abgeschossen zu haben. Üblicherweise geht man davon aus, daß dieses Bekenntnis mehr als bloße Prahlerei darstellt, zumal der Deutsche tief betroffen war, den von ihm Verehrten getötet zu haben.

Bedauerlich ist, daß entscheidende Botschaften Saint-Exupérys, die ein Korrektiv gegenüber weitverbreitenden Trends unserer Gegenwart bedeuten, kaum verbreitet werden, während hauptsächlich Marginales wie Rührseliges über einen der wichtigsten Vertreter der französischen Literatur bekannt ist. Es wäre heilsam, wenn es sich umgekehrt verhielte. Der Bestsellerautor, der angekündigt hatte, ohne Bedauern aus der Welt zu scheiden, hätte gewiß nichts dagegen.

Foto: Antoine de Saint-Exupéry vor einem Flugzeug (undatiert): Nationale Grundhaltung

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen