© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/14 / 25. Juli 2014

Subversive Provokationen
Musiker, Maler, Theatergruppe: Die Industrialband Laibach und die Neue Slowenische Kunst
Sebastian Hennig

Hirten im Wolfspelz, subversive Popart aus Slowenien: Das Künstlerkollektiv „Laibach“ aus Slowenien verstört seit 1980 mit seiner subversiven Taktik Kunstwelt und Showgeschäft. Mit spektakulären Aktionen unterlaufen sie alle Erwartungshorizonte von östlichen Funktionären und westlichen Intellektuellen.

Mit der deutschen Bezeichnung der slowenischen Hauptstadt als Gruppenname forderten sie heftige Reaktionen der kommunistischen Veteranen heraus. Ein liberal gesinnter Verband der Sozialistischen Jugend Sloweniens und die künstlerische Boheme des Landes gibt den Experimenten zunächst ein Podium. Sie propagieren Entpersönlichung und Fanatismus in der Kunst, bedienen sich dazu der Symbolik totalitärer Regime in unsinniger Verkehrung. Zugleich präparieren sie die totalitären Züge heraus, die dem arroganten Entgrenzungswahn des westlichen Liberalismus innewohnen. In einem frühen jugoslawischen Fernsehinterview bezeichnen sie sich als die erste Generation des Fernsehens.

Während Laibach in der Heimat mit Verboten belegt wird, erfreuen sie sich im Westen zunehmender Aufmerksamkeit. Bereits 1984 wird in einer Ausstellung des Pariser Centre Pompidou ein Video vorgeführt. Die Strategie der Entlarvung durch konsequente Übersteigerung wird den jeweiligen Umständen angepaßt. Vor Ort werden die ideologischen Reflexzonen bis zur Taubheit massiert. Eine Konzerttournee durch die Bundesrepublik trug 1985 den Titel: „Die erste Bombardierung über dem Deutschland“ (sic!). Und das Wiener Publikum bekommt während eines Konzerts in slowenischem Akzent entgegengerufen: „Österreicher, ihr seid Deutsche!“

Linksintellektuelle Szene und rechte Subkultur

1988 erscheinen Laibach auf dem Plattenlabel Mute im Umfeld von Britpop-Gruppen wie Depeche Mode und Erasure. Das „Let It Be“-Album der Beatles wird von ihnen als Soundtrack einer stampfenden Umerziehungstortur vorgeführt. Damit war ein Höhepunkt intuitiver Selbstentlarvung der Populärkultur mit deren eigenen Mitteln erreicht. In den achtziger Jahren setzte sich das Publikum oft zu gleichen Teilen aus linksintellektueller Szene und rechter Subkultur zusammen. Noch 2012 gab es eine kleine Antifa-Demonstration gegen den Auftritt im Berliner Klub Berghain.

Doch postmoderne Schwadroneure vom Kaliber der Philosophen Slavo Žižeks und Boris Groys’ nobilitieren das Kunstlabor und erheben es über jeden Verdacht. Als Laibach-Abkömmling wurde die Berliner Band Rammstein mit teutonischem Feuerzirkus international erfolgreich. Das Original dagegen nährt den Ausbruch des Rausches nur bis zum kritischen Punkt und verhält ihn sofort mit präziser Dramaturgie. Von Anfang an wurde schockartige Ernüchterung bewirkt.

Das Kollektiv der „Neuen Slowenischen Kunst“ (NSK) aus dem Umfeld der Gruppe gestaltet nicht nur die Plakate und Plattencover, sondern betreibt die asymmetrische Auseinandersetzung mit dem strukturalistisch-kulturellen Komplex der westlichen Szene im großen Stil. Ein NSK-Staat eröffnete ab 1991 weltweit seine temporären Paß-Vergabestellen. 1995 findet zeitgleich zur Unterzeichnung des Dayton-Abkommens ein Konzert der „Occupied Europe NATO Tour“ im Nationaltheater von Sarajevo statt. Damals glückte manchen mit den fiktiven NSK-Pässen die Ausreise aus der belagerten Stadt. Inzwischen werden die Bürger und Antragsteller des NSK-Staats darauf verwiesen, daß das Dokument nicht zur Überschreitung von Ländergrenzen berechtigt. Eine solche Warnung wurde erforderlich, weil kriminelle Banden die Dokumente in Nigeria im großen Stil verkauften. Die Vision vom „State in Time“ war damit erledigt.

2010 gab es im Berliner Haus der Kulturen der Welt einen „First NSK Citizens Congress“. Im Mai dieses Jahres wurde in der Spinnerei in Leipzig von einer regionalen Sektion unter dem slawisierten Namen NSK Lipsk die „1st NSK Folk Art Biennale“ veranstaltet. Kurioserweise zeigte die Schau überwiegend Laibach-Folklore. Verschiedene Variationen wurden zu den Themen der verehrten Vorgänger gebastelt. Eine zeitgleiche Präsentation der slowenischen Retroavantgarde-Gruppe Irwin in einer zum „Kulturny dom“ ernannten Wohnung eines Aktivisten in Leipzig-Connewitz war nicht mehr als ein ebenso langweiliger wie gelangweilter Szenetreff mit prominenten Gästen, dekoriert von ein paar Fotos vergangener Heldentaten. Das Malerkollektiv Irwin hatte 2002 eine Retrospektive in der Galerie für Ostdeutsche Kunst in Regensburg. Im Lehmbruck-Museum Duisburg ist es derzeit noch an der Ausstellung „Hans im Glück – Kunst & Kapital“ beteiligt.

Unterdessen hat Laibach den Verlust an Spielraum mit einem Zuwachs an Deutlichkeit kompensiert. Die aktuelle Platte „Spectre“ (JF 12/14) beschwört den Zerfall Europas („Eurovision“), stellt die Möglichkeit zum „Nein“-Sagen („No“) und den bedenklich hilflos werdenden Imperialismus der USA („Americana“) heraus und feiert den „Whistleblower“ hymnisch als neuen Helden. „Ein Gespenst geht um in Europa, das Gespenst Laibach“, heißt es in der Presseerklärung.

Wie als ironische Verkehrung zur peinlichen Erfahrung des NSK-Staates wurde nun eine „Spectre“-Partei gegründet. Für zehn Euro läßt sich das Mitgliedsbuch einer Partei erwerben, die nicht verlassen, von der man aber jederzeit ausgeschlossen werden kann. Hierin klingt deutlich eine sarkastische Parallele an zwischen der stalinistischen Kaderpartei und den Wirkungsweisen der virtuellen Netzwerke. In der slowenischen Zeitung Dnevnik resümiert Ivan Novak: Da der NSK-Staat zu einem Fan-Klub herabgesunken sei, dessen Mitglieder sich päpstlicher als der Papst aufführten, wurde dazu übergegangen, eine Partei zu etablieren. Diese werde die Gruppe nun in ihrem Sinne lenken und von den Mitgliedern konkretes soziales und politisches Engagement einfordern.

Im September spielt Laibach in Deutschland

Das Konzept von Laibach aus den achtziger Jahren scheint damit neuen Schwung zu erhalten. Dieser Schwung kennzeichnete auch die Konzerte zum neuen Album. Laibach spielte die Titel in einer deutlich wirkungsgerichteten Abfolge, die durch Filmprojektionen noch unterstrichen wurde. Auf die dunkle Prophezeihung „Europe will falling apart“ folgt mit „Walk with me“ die unpathetische Aufforderung der eleganten Sängerin Mina Špiler, nicht länger herumzuhängen, sondern besser mitzugehen und die Welt zu ändern. Die Hymne „Whistleblower“ leitet eine Reihe von Liedern ein, die sich als resignierte Schlachtrufe bezeichnen ließen.

Am 5. September werden Laibach noch einmal nach Deutschland kommen zum Festival „nocturnal-culture-night“ im Kulturpark Deutzen bei Leipzig. Die 2005 erschienene Studie des Briten Alexei Monroe „Laibach und NSK – Die Inquisitionsmaschine im Kreuzverhör“ liegt nun seit April auch in einer deutschen Publikation vor.

Alexei Monroe: Laibach und NSK – Die Inquisitionsmaschine im Kreuzverhör. Ventil 2014, broschiert, 344 Seiten, Abbildungen, 24,90 Euro

www.nskstate.com

www.laibach.org

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