© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/14 / 25. Juli 2014

Hart wie Kameldornholz
Reisebericht: Das deutsche Kolonialerbe in Namibia ist kaum zu übersehen, aber es bröckelt
Stefanie Koth

Am Geländer des Sonnendecks meines Appartements zwitschern Vögel mit fremder Kehle. Leichter Wind auf der Haut läßt die Hitze erträglich werden. Die Regenzeit ist gerade vorbei. Vor mir dehnt sich ein bezauberndes Panorama – ein von riesigen, grünen Bergen umrahmtes Tal, durch das sich das Revier Kleinwindhuk seinen Weg bahnt. Einfamilienhäuser mit kleinen Gärten und Swimmingpools, Hotels, Teerstraßen und Tankstellen. Nur die zahlreichen, meterhohen Palmen und die Bauart der Häuser erinnern daran, fern der Heimat zu sein. Vor mir liegen zwei Wochen in Namibia, dem ehemaligen Deutsch-Südwestafrika.

Die Independence Avenue, die frühere Kaiser-Wilhelm-Straße, ist eine der Magistrale der namibischen Hauptstadt Windhuk. Neben mir lärmt der alltägliche Verkehr. Das Straßenbild ist geprägt von einer Mischung aus modernen Zweckbauten und repräsentativen Häusern aus der Kolonialzeit. Gleich jeder europäischen Großstadt reicht die Palette der Geschäfte von Fastfood-Ketten, Restaurants und Cafés über Bekleidungs- und Handyläden bis hin zu Einkaufszentren unterschiedlichster Größen. Einen Ruhepol bildet der Zoo-Park mit schattenspendenden Palmen und Bäumen. Auf dem Rasen darunter genießen die Einheimischen ihre Mittagspause. Wer nicht schläft, sitzt telefonierend im Schatten und läßt seinen Blick über den kleinen, s-förmigen Teich und das kaiserliche Kriegerdenkmal schweifen. „Lecker Wetter“, begrüßt mich ein Einheimischer auf deutsch und versucht ins Gespräch zu kommen.

Durchgebrochene Deckenbalken

Vorbei an der Christuskirche und dem Unabhängigkeitsmuseum führt der Weg zur Alten Feste. Das Reiterdenkmal – früher das Wahrzeichen Windhuks – wurde 2014 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion abgebaut. Nun steht der Reiter lieblos, mit Absperrband umzäunt, im Inneren der Alten Feste. Die Gedenkplatten liegen daneben im Gras. Von außen ist die Alte Feste immer noch sehr schön anzuschauen.

Der Blick ins Gebäude macht jedoch schnell bewußt, daß die Republik Namibia keinen Wert auf die Erhaltung des deutschen Kulturerbes legt. Fehlende Lamellen an den Fensterläden und durchgebrochene Deckenbalken bezeugen dies. Einen krassen Kontrast hierzu bietet das angrenzende, erst 2012 eröffnete Unabhängigkeitsmuseum. Hier ist alles neu. Das stets kurz vor dem finanziellen Ruin stehende Land hat hier immense Geldsummen in den Bau einer Propagandaausstellung investiert. Überdimensionierte, raumfüllende Wandbilder zeigen die heroischen Heldentaten der South-West Africa People’s Organization – kurz als Swapo bezeichnet. Heute die regierungsführende Partei in Namibia, war sie früher eine marxistisch orientierte Befreiungsbewegung. Der Parlamentsgarten vor dem Parlamentssitz, spöttisch auch als „Tintenpalast“ bezeichnet, ist dagegen ein unpolitischer Ort. Seine Brunnen, Statuen, die vielen unterschiedlichen, kraftvoll farbenfroh blühenden Blumen und Bäume laden zum Verweilen ein.

Meine Begeisterung für Namibia entfesselt vollends der Etosha-Nationalpark. Auf der sechsstündigen Fahrt dorthin kreuzen Paviane und Warzenschweine die Fahrbahn. Das Land scheint schier unendlich und direkt mit dem Horizont zu verschmelzen. Es ist beeindruckend, wie sich die Landschaft verändert: vom Hochland mit seinen vielen Bergen über das Flachland mit hochstehenden, saftig grünen Gräsern und Bäumen, von denen Vogelnester an Fäden herabhängen, den Bergen des Waterberg-Plateaus, die inmitten dieser endlosen Weite herausragen bis hin zur Steppenlandschaft, wo die afrikanische Sonne wie ein glühendes Eisen alles verbrennt. Ungläubig schaue ich bei einem Halt auf ein hinter einem Zaun stehendes Meer großer Sonnenblumen, während wenige Meter entfernt der Boden von der Sonne in mehrere kleine Inseln zerrissen worden ist.

Im Nationalpark lassen sich Zebras, Elefanten, Nashörner, Giraffen und Löwen in freier Wildbahn bestaunen. In seinem Osten liegt die alte deutsche Festung Namutoni. Kaputte Gehwege, herabgefallene Geländer, gesperrte Wachgänge, verfallene Brunnen – leider teilt auch dieses Zeugnis kolonialer Geschichte das Schicksal aller deutschen Kulturgüter in Namibia. Tage später befinde ich mich auf dem Weg nach Swakopmund, dem Ahlbeck Afrikas. Zuvor muß die Wüste Namib durchquert werden, die Namensgeber für das Land zwischen Angola, Botswana, Sambia, Südafrika und dem Atlantik ist.

Über der Stadt hängt eine Glocke aus weißer Luft

Erst kommt eine Felsen- und Steinwüste, die ziemlich grob und rauh erscheint, eine mystische Mondlandschaft mit tiefen Gräben im Sandstein, steilen Abhängen und großen, nebeneinander liegenden Bergen. Hier zu überleben, erscheint schier unmöglich. Und dennoch gibt es dort Pflanzen, die den unwirtlichen Bedingungen trotzen.

Je näher ich an Swakopmund komme, desto feiner wird der Sand. Über der Stadt hängt eine Glocke aus weißer Luft – Küstennebel. Das Stadtbild zieren Häuser aus der Kolonialzeit, an denen sogar noch der deutsche Name des Gebäudes oder der Straße steht. Die Fußgängerzone erinnert mehr an ein pommersches Seebad als an eine afrikanische Stadt. Hinter dem Hohenzollernhaus im Jugendstil beginnt die Wüste.

Auf dem Weg von Swakopmund nach Walvis Bay endlich das, was ich mir immer unter Wüste vorgestellt habe. Ein Meer aus Sanddünen, ständig wogend und vom Winde verweht. Nicht nur die verschiedenen Dünenformen beeindrucken, sondern auch die Tatsache, daß die Straße direkt am Ozean verläuft. Links die Sandwüste und rechts der Atlantik. Ein Land der Extreme, „hart wie Kameldornholz“, trocken wie seine „Riviere“, heißt es im Südwesterlied, die inoffizielle Hymne der Siedler.

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