© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/14 / 25. Juli 2014

Ohne Youtube ging es nicht
ARD-Reporter Jörg Armbruster über die Probleme der Krisen-Berichterstattung
Heiko Urbanzyk

Ich bin mir sicher, wenn wir das Sonntag abend veranstaltet hätten, wären Sie auch alle gekommen. So gegen 23 Uhr wären wir fertig gewesen“, witzelt Jörg Armbruster zwei Tage nach dem gewonnenen WM-Finale.

Der Reporter, der bis 2012 aus Städten wie Kairo, Bagdad oder Damaskus berichtet hat, ist in die Provinz gereist. Jetzt steht er in der der Stadtbücherei von Coesfeld in Westfalen, um die Weltpolitik zu analysieren. Über 150 Interessierte, unter ihnen der Bürgermeister der 35.000-Einwohner-Stadt, wollten den in den Ruhestand getretenen ARD-Auslandskorrespondenten zum Thema „Brennpunkt Nahost“ sehen. Die meisten Damen und Herren sind im Rentenalter, ARD-Publikum.

Eigentlich wollte er über Syrien reden. Doch die aktuelle Entwicklung wirft ganz neue Fragen auf: „Was ist mit dieser Isis, die jetzt IS, Islamischer Staat, heißt?“ Armbruster beschreibt „den Sturmlauf“ einer Miliz, die wegen ihrer Brutalität seit Januar sogar offiziell vom Al-Quaida-Netzwerk in Afghanistan geächtet worden ist. „Isis ist zur Zeit die erfolgreichste, reichste und am besten ausgerüstete Terroreinheit, die es auf dieser Welt gibt.“

Vor einem Jahr wurde Armbruster angeschossen

Das wisse auch Isis-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi, den die Bild unlängst zum „Terror-Fürsten“ gekürt hat. Sein Kalifat beanspruche die Herrschaft über nationale Grenzen hinweg. Das könnte dem Kalifat weiteren Zulauf verschaffen. 350 deutsche Staatsbürger gehören nach seinen Informationen Isis an. Am ehesten Konvertiten, meint er. Junge Männer auf Abenteuersuche, begeistert vom Erfolg Baghdadis und dem Umgang mit Waffen.

Noch letztes Jahr zu Ostern, berichtet Armbruster, sei er im syrischen Aleppo gewesen – mitten im Rebellengebiet. Damals wurde Armbruster beim Dreh angeschossen. Doch darüber spricht niemand in der Stadtbücherei in Coesfeld. Weder Armbruster noch seine Zuhörer. Alle sind auf das Thema Isis konzentriert. Die Terrororganisation habe es damals schon gegeben, meint Armbruster, sie habe sich aber noch im Schatten von al-Quaida bewegt. Seitdem habe eine Dschihadisierung der syrischen Rebellengruppen eingesetzt.

Säkuläre islamistische Milizen hätten Kämpfer an extremistische Gotteskrieger wie Isis verloren. Ab Juni 2013 habe sich klar gezeigt, daß Isis eine große Rolle spielen wird. „Isis hat dann nicht den Krieg gegen Assad geführt, sondern auch gegen Rebellenmilizen, um sie zu entmachten und selbst im Rebellengebiet die Vorherrschaft zu bekommen.“

Vier Franzosen wurden von Isis als Geiseln genommen

Kollegen rät er davon ab, sich in das Krisengebiet Nordirak zu begeben. Die Entführung von Reportern und Ausländern generell sei eine Haupteinnahmequelle für Isis. Vor zwei Monaten seien vier französische Kollegen im Nordirak entführt worden. Nach seinen Informationen habe die französische Regierung 18 Millionen Euro Lösegeld gezahlt. „Aber eine Bestätigung dieser Summe habe ich nie gefunden, weil keine Regierung der Welt bekanntgibt, was sie an Lösegeld bezahlt.“ Die Gefahr für Reporter in Krisengebieten, zum Geiselopfer zu werden, kennt Armbruster. „Das war der Grund, warum wir im Februar, als wir eigentlich nach Syrien einreisen wollten, der Warnung unserer syrischen Freunde gefolgt sind. Die haben gesagt ‘Kommt auf keinen Fall! Das ganze Gebiet wird von Isis kontrolliert, die entführen euch sofort.’ Wir haben’s dann gelassen.“ Er gibt zu, daß es einfach sicherer gewesen sei, zum Beispiel von der türkisch-syrischen Grenze aus zu berichten, als sich dauerhaft in Syriens Rebellenhochburgen der Entführungsgefahr auszusetzen.

Bereits 2010 in Bagdad hätten er und seine Mitarbeiter nur für den ARD-Weltspiegel berichten können, weil sie sich vorher einer Stammesmiliz anvertraut hätten. „Da wurde damals noch ganz gerne entführt. Die haben uns versprochen, daß sie auf uns aufpassen und uns begleiten.“ Da müsse sich ein Journalist entscheiden, ob er das wolle oder nicht. „Ich hab dann gesagt ‘Wir machen’s.’ Das muß man riskieren.“

Das Publikum reagiert mit kritischen Fragen zur öffentlich-rechtlichen Berichterstattung: „Warum gab es zum Syrienkrieg immer nur dieselben Zappelvideos in den Nachrichten?“ „Wir kamen einfach nicht rein“, antwortet Armbruster. Er hätte nur aufgrund von Youtube-Videos von außerhalb berichten können. Für O-Töne befragte er Flüchtlinge. Für diese Art der Berichterstattung sind die öffentlich-rechtlichen Sender von rechts bis links heftig kritisiert worden.

„Wir waren auf diese Youtube-Videos angewiesen. Das ist natürlich ein ganz jämmerlicher Zustand.“ Sie hätten schlichtweg nicht gewußt, was auf diesen Videos wirklich gezeigt wird. Es habe Stellen in Beirut, London und Berlin gegeben, die den Demonstranten beigebracht hätten, daß aus den Aufnahmen deutlich werden müsse, von wann und wo sie stammen, wer und was gezeigt würde. Es seien danach Pappschilder in den Videos mit Ort und Datum hochgehalten worden. „Aber es blieb trotzdem eine unglaublich unbefriedigende Situation.“

„ARD und ZDF sind zu unwichtig“

Die ARD habe eine eigene Redaktion gebildet, die dafür zuständig gewesen sei, die Inhalte dieser Aufnahmen zu identifizieren und zu verifizieren. „Ich habe mich einmal in Kairo mit einer Redakteurin fürchterlich gestritten, weil ich der Meinung war, da wird einer wegtransportiert zu einer Krankenstation.“ Die Kollegin sei aber der Ansicht gewesen, es handle sich um eine Verhaftung eines Verletzten durch die Geheimpolizei. „Am Schluß haben wir das Bild gar nicht verwendet, weil beides stimmen konnte.“

Armbruster gesteht ein, es seien auch Videos aufgetaucht, die tatsächlich als syrisches Kriegsgeschehen gesendet wurden, die allerdings drei Jahre zuvor im Irak entstanden. „Uns hat Damaskus das nicht angelastet.“ Angelastet wurde es BBC World, Al Dschazira und CNN. „ARD und ZDF sind zu unwichtig.“ Wurden auch deutsche Zuschauer desinformiert? Er wisse bis heute nicht, ob er selbst solche Videos verwendet habe, entgegnet er. Armbruster schiebt die Schuld weg von sich und seinen Kollegen. Er meint, das Informationsministerium in Damaskus habe die Bilder gezielt unter echte Bilder der Demonstranten gemischt, um westliche Medien unglaubwürdig zu machen. „Das war eine ganz schlechte Zeit für die Berichterstattung“, senkt Armbruster seine Stimme.

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