© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/14 / 25. Juli 2014

Der Flaneur
Pfandsammler bei der Arbeit
Paul Leonhard

Etwa 20 Meter Luftlinie zur Kontrollstelle. Hinter ihr beginnt die flüssigkeitsfreie Zone. Ein Plakat zeigt an, was alles verboten ist. Es ist viel. Ich sitze auf einer Bank und frühstücke, nehme einen tiefen Schluck aus der Wasserflasche. Ein Mann nähert sich. Typischer Individualreisender, denke ich. Graue, zum Zopf gebundene Haare. Er trägt eine weite Hose, ein Marken-T-Shirt und einen roten Stadtrucksack. Der Mann kommt frontal auf mich zu, schaut auf meine Flasche. Als er ihre ausländische Herkunft erkennt, biegt er ab in Richtung der Papierkörbe, die zwischen den Bänken stehen. Dort stoppt er und wirft einen gründlichen Blick hinein, bevor er weitergeht.

Einige kommen bereits zum dritten oder vierten Mal vorbei, und es wird umsonst sein.

Wenige Minuten später kommt ein graumelierter Mann in schwarzem Mantel. Er trägt einen Stoffbeutel und marschiert schnurstracks auf die Abfallbehälter zu, greift tief hinein. Die zwei Flaschen, die er herauszieht, besitzen kein Pfandzeichen. Er stellt sie zurück. Die beiden Frauen, die anschließend auftreten, erkenne ich sofort als Flaschensammlerinnen, aber den dynamischen Mittdreißiger mit Trolley hätte ich für einen Reisenden gehalten, ebenso den dünnen Herren in grauem Anzug.

Vielleicht anderthalb Dutzend Flaschensammler drehen in den zwei Stunden, in denen ich auf meinen Flug warte, ihre Runden. Die meisten sind Deutsche, nur zwei stufe ich als Südeuropäer ein. Einige kommen bereits zum zweiten, dritten oder vierten Mal vorbei, und ich weiß, daß es umsonst sein wird. Nur ein Reisender hat sich in der Zwischenzeit von einer Plastikflasche getrennt. Es ist eine ältere Frau, die das begehrte Stück aus dem Behälter zieht.

Das Sammeln von Pfandflaschen auf dem Frankfurter Flughafen erfordert Gespür und Glück. Ausgerechnet in dem Moment, als eine Gruppe Jugendlicher mindestens sechs Flaschen entsorgt, nähern sich die Berufs-Papierkorbleerer. Mit wehmütigem Blick schaut ein alter Mann den entgangenen 1,50 Euro nach. Dann schlurft er weiter und baut sich etwa vier Meter vor einer asiatischen Familie auf. Gespannt sieht er zu, wie sich deren Wasserflaschen leeren. Noch vor dem letzten Schluck steht er vor dem Familienoberhaupt und streckt die Hand aus.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen