© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/14 / 08. August 2014

John C. Röhl ist gern gefragter Kronzeuge im Kampf gegen die Thesen Christopher Clarks
Der Ankläger
Eberhard Straub

Goethe hatte seine Schwierigkeiten mit alten Professoren. „Sie überliefern im ganzen nur fixe Ansichten und, was das einzelne betrifft, vieles, was die Zeit schon als unnütz und falsch verurteilt hat.“ Im Gegensatz zu diesem Urteil herrscht heute nahezu eine Altbegier. Von ihr sind paradoxerweise gerade die befallen, die Neugierde sonst für eine Tugend halten und neugierig machen wollen, nämlich Journalisten. Der fast noch junge Historiker Christopher Clark sorgt deshalb für einige Aufregung, weil er sich nicht beflissen um die fixen Ansichten über den langen Weg in den Ersten Weltkrieg kümmert.

Der englische Historiker John Charles Röhl, geboren 1938 in London als Sohn eines deutschen Vaters und einer englischen Mutter, wurde dagegen während der vergangenen dreißig Jahre in Deutschland fast zum Klassiker erhoben. Seine Deutungen des Wilhelminismus wurden ehrfürchtig wie ein ewiger Besitz behandelt. So wollte der große Thukydides seine Darstellung des Peloponnesichen Krieges vor 2.500 Jahren verstanden wissen: Sie wurde ein unverlierbarer Besitz und er zum Klassiker.

Christopher Clark schreibt nicht gegen Röhl an. Er schreibt nur anders, nicht allein auf die Schuld der Deutschen und des Deutschen Reiches fixiert wie sein ehemaliger Kollege von der Universität Sussex. Unter dieser erweiterten Perspektive ergeben sich für Clark andere Einsichten. Röhl konnte in der Bundesrepublik so ungemein populär werden, weil er sich nicht nur als Historiker verstand, sondern zugleich als Moralist und Richter.

Das entsprach ganz und gar den Vorstellungen gewissenhafter Deutscher. Diese wollten aus der Geschichte lernen, um nie wieder auf gefährliche „Sonderwege“ zu geraten. John Röhl zeigte den Deutschen mit ihren wilhelminischen Vorfahren, wie häßlich sie einst waren. Die Bundesrepublikaner schämten sich und zugleich fühlten sie sich erleichtert, nun endlich das Ziel ihrer Geschichte erreicht zu haben und berechtigt zu sein, anderen moralischen Unterricht zu erteilen. Sie unterlagen mit Röhls dunklen Bildern im Gedächtnis manchen egozentrischen Täuschungen, mittlerweile in der besten aller Welten zu leben.

Christopher Clark spricht von Nervositäten, Unruhen und Unsicherheiten, die alle Europäer teilten. Nicht nur unter den Deutschen, überall gab es „problematische Naturen“, wie Goethe jene nannte, die ihrer Lage nicht gewachsen sind. Die Deutschen von 1914 unterschieden sich nicht allzu sehr von ihren Nachbarn. Solche Neuigkeiten bringen allerdings das Weltbild der alten Bundesrepublik durcheinander. Deshalb suchen politisch-korrekte Sinnstifter in den Medien von der Zeit bis zum ZDF, die vom Alten nicht lassen können, Hilfe wider den angeblichen Ungeist Clarks bei alten Orientierungshelfern wie John C. Röhl. Darin äußert sich die Verlegenheit, dem Neuen nicht gewachsen zu sein.

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