© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/14 / 08. August 2014

Das volkswirtschaftliche Gesamtvermögen
Nützliche Fiktion
Thorsten Polleit

Das Geldvermögen der privaten Haushalte in Deutschland, so verkündete jüngst der Bundesverband deutscher Banken, lag Ende 2013 bei 5,2 Billionen Euro. Rechnet man das Immobilienvermögen hinzu, so ergab sich ein Gesamtvermögen der Deutschen von mehr als zehn Billionen Euro. Gleichzeitig beliefen sich die Schulden auf 1,6 Billionen Euro, so daß die Deutschen über ein Nettovermögen von gut neun Billionen Euro verfügten, so der Bankenverband.

Was ist von solch einem Rechenwerk zu halten? Nicht viel. Es ist eine irreführende „Illusion“. Der Ausweis eines „gesamtwirtschaftlichen Vermögens“ entspringt einem Mißverständnis über die Wert- und Preisfindung in einer Marktwirtschaft. Ein einfaches Beispiel mag das erläutern. Der Marktpreis einer Aktie ist zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt 100 Euro. Dieser Gleichgewichtspreis ergibt sich aus dem Zusammenspiel von einer ganz bestimmten Anzahl von angebotenen und nachgefragten Aktien. Der einzelne Aktionär mag damit rechnen, daß er diesen Preis bei einem Aktienverkauf erzielen wird – weil er durch seinen Aktienverkauf keinen merklichen Einfluß auf den Marktpreis der Aktie nimmt.

Was für den einzelnen Aktionär gilt, gilt aber nicht für alle Aktionäre. Wenn alle Aktionäre ihre Aktien auf den Markt schmeißen, wird der Aktienkurs natürlich stark nachgeben müssen, im Extremfall werden sich gar keine Käufer finden. Es hat daher keinen Sinn, das Gesamtvermögen der Aktionäre zu errechnen, indem man die Aktienwerte, die die einzelnen Aktionäre halten, addiert. Gleiches gilt auch für die Berechnungen des Gesamtvermögens einer Volkswirtschaft. Eine solche Rechengröße ist eine Fiktion, eine Zahlenspielerei, die keinen Realitätsbezug hat.

Auch ist fragwürdig, Staatsschulden als Vermögen auszuweisen. Ein einfaches Beispiel soll das verdeutlichen. Nehmen wird an, Herr Meier kauft sich eine Bundesanleihe für 100 Euro. In seiner persönlichen Bilanz geschieht daraufhin folgendes: Die Kasse nimmt um 100 Euro ab, sein Wertpapierbesitz steigt um 100 Euro. Doch das ist nicht alles. Der Staat wird Herrn Meier nun besteuern müssen, um Zins und Tilgung zu zahlen. In der Bilanz von Herrn Meier taucht also gleichzeitig auch eine Verbindlichkeit auf der Passivseite auf, die daraus resultiert, daß der Staat ihn künftig zur Kasse bitten wird. Das Ausweiten der Staatsschulden, der Erwerb der Staatsschulden, macht Herrn Meier also gar nicht reicher.

Fazit: Das volkswirtschaftliche Gesamtvermögen ist eine fiktive Rechengröße. Sie weckt Begehrlichkeiten, die Forderungen nach noch mehr Umverteilung nach sich ziehen. Und sie vernebelt, daß die Vermögenswerte bereits aus versteuertem Einkommen entstanden sind.

 

Prof. Dr. Thorsten Polleit ist Chefvolkswirt bei der Degussa Goldhandel GmbH.

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