© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/14 / 08. August 2014

Das Aldi-Prinzip
Gut und günstig: Zwei Brüder aus Essen haben den weltweiten Lebensmittelhandel revolutioniert
Markus Brandstetter

Begonnen hat alles im April 1913, als der Bäckergeselle Karl Albrecht im heutigen Essener Stadtteil Schonnebeck den „Handel mit Backwaren“ aufnahm und das Bäckerhandwerk zugunsten eines selbständigen Brothandels aufgab. Albrechts Frau Anna eröffnete unter dem Namen ihres Mannes ein Ladengeschäft, das nicht größer als ein Wohnzimmer war. Der Mutter gelang es, mit diesem kleinen Laden die ganze Familie durch zwei Weltkriege zu bringen und über Wasser zu halten.

Die Albrechts hatten zwei Söhne, den 1920 geborenen Theo und den zwei Jahre jüngeren Karl. Beide dienten im Zweiten Weltkrieg als Soldaten, Karl soll sogar an der Ostfront verwundet worden sein. Beide lernten aber auch den Beruf des Kaufmanns und Einzelhändlers, der eine im elterlichen Geschäft, der andere im angesehenen Essener Feinkostgeschäft Weiler. 1945 übernehmen die Brüder das Lebensmittelgeschäft ihrer Mutter Anna, das im Bombenkrieg unbeschädigt geblieben war. Nach und nach bauen die Brüder eine kleine Ladenkette auf. 1950 zählten sie bereits 13 Lebensmittelgeschäfte in Essen und Umgebung, allerdings in der Größe des Tante-Emma-Ladens ihrer Mutter.

Beschränkung auf ein kleines Warensortiment

Viele Zeitgenossen hätten sich zu diesem Zeitpunkt mit dem Erreichten zufriedengegeben: Mit 13 Lebensmittelläden galt man im Nachkriegsdeutschland als wohlhabend. Theo und Karl Albrecht haben indessen größere Pläne, in ihren Köpfen spukt eine radikale Idee herum, die so neu ist, daß es noch nicht einmal einen Namen dafür gibt. Damals kommen in Europa die Selbstbedienungsläden auf, die später Discounter heißen. Die Brüder erkennen schnell, daß das Discountkonzept – Aldi steht für Albrecht Discount – allein weder besonders revolutionär ist noch den Keim zu einer enormen, raschen und nachhaltigen Expansion in sich trägt. Und genau in dieser Situation haben beide einen Geistesblitz, der mit ihrer bescheidenen Herkunft in engstem Zusammenhang steht: Sie besinnen sich darauf, daß ein Mensch zum Leben eigentlich gar nicht so viel braucht, daß eine überschaubare Anzahl von Grundnahrungsmitteln, ordentlich, klar und sauber, aber schnörkellos präsentiert, den meisten Menschen genügt. Früher als alle anderen begreifen sie, daß bunte und aufwendige Dekorationen und eine Auswahl unter 40.000 Artikeln die breite Masse der Menschen überfordert.

Für die meisten Konsumenten genügen 300 oder 400 Produkte, die in Dosen und Säcken auf Paletten stehen, wenn nur eines stimmt – der Preis. Ohne Studium, Marketing-Gurus und Unternehmensberater kommen die beiden Brüder in nächtelangen Diskussionen zu dem Schluß, daß der absolut wichtigste und alles andere überragende Aspekt einer Ware der Preis ist, solange der Kunde das Gefühl hat, daß er eine Standardware zum günstigsten Preis erwirbt.

Die Idee der Brüder schlägt sofort ein, die Gewinne sprudeln und das Unternehmen wächst unaufhaltsam: 1953 sind es 31 Filialen, zwei Jahre später bereits 100, 1960 wird mit 300 Läden ein Umsatz von 90 Millionen Mark gemacht. Die Konzentration auf schnelldrehende Grundnahrungsmittel, lange Zahlungsziele bei den Lieferanten und niedrige In-House-Kosten führen zu einer enormen Liquidität, die es dem Unternehmen erlaubt, ohne Bankkredite auszukommen, obwohl sich die meisten Immobilien im Besitz einer Tochtergesellschaft befinden.

1961 teilen die Brüder das Filialnetz auf, Karl erhält Aldi Süd, sein Bruder Aldi Nord. Das, was wie ein simpler Schritt klingt, ist in Wahrheit eine geniale Strategie: Die Brüder arbeiten weiter eng zusammen, teilen sich Lieferanten und Dienstleister, gehen so möglichen Konflikten miteinander aus dem Weg; jeder darf sich als Alleinherrscher in seinem Gebiet fühlen. 1967 expandieren sie ins Ausland – erfolgreich: Erst geht es ins vertraute Österreich, dann steigt Aldi mit einer eigenen Marke („Trader Joe’s“) in den USA ein. Wohin die Brüder auch immer gehen, das altbewährte Konzept steht immer im Mittelpunkt: wenig, dafür gut und günstig

Obwohl die Albrecht-Brüder sich auf ihren Lorbeeren ausruhen könnten, geschieht das nie: Als Mitte der 1990er Jahre klar wird, daß der PC ein Massenprodukt ist und bald in jeder Privatwohnung steht, verkauft Aldi eigene Computer. Im Moment hat das Unternehmen rund 10.000 Filialen auf der ganzen Welt, der Umsatz in Deutschland betrug 2013 fast 27 Milliarden, der Konkurrent Lidl erwirtschaftete 18 Milliarden Euro.

Supermarktketten im Ausland verdrängt

Die Umsatzrendite liegt zwischen drei und vier Prozent, was bedeutet, daß die ganze Gruppe Vorsteuergewinne von mehr als einer Milliarde Euro erzielt. Das Aldi-Prinzip hat die Konkurrenz das Fürchten gelehrt, in Großbritannien zum Beispiel haben Aldi und Lidl die einheimischen Supermarktketten vom Spitzenplatz verdrängt. Auf dem Lebensmittelmarkt ist heute Aldi weltweit das Maß aller Dinge.

Die Albrecht-Brüder avancierten zu den reichsten Deutschen, aber während andere Reiche Ferraris, Yachten und Skandale horteten, war all das im Haus Albrecht vollkommen unbekannt. Journalisten, Buchautoren und Politiker haben die Brüder ignoriert, die meisten Medien haben sie als öffentlichkeitsscheue Geheimniskrämer und Steuerhinterzieher geschmäht. Ihre wahre Bedeutung hat kaum einer erkannt, dabei gehörten Theo und Karl Albrecht im 20. Jahrhundert zu den wichtigsten Innovatoren der Handelsbranche.

Foto: Aldisierung der Welt: Die Mutter aller Discounter ist in 17 Ländern rund um den Globus, darunter halb Europa, die USA und Australien präsent

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