© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/14 / 08. August 2014

Querkopf ohne Alibi
Stärkung der deutschen Identität: Am 13. August hätte der Nationalpädagoge und Historiker Hellmut Diwald seinen 90. Geburtstag gefeiert
Felix Dirsch

Blickt man auf das Leben des vor über zwanzig Jahren verstorbenen Historikers Hellmut Diwald (1924–1993) zurück, so läßt sich dieses als im höchsten Grad paradox charakterisieren. Der patriotische Geschichtsschreiber, so kann man ihn im Gegensatz zu vielen detailversessenen Faktenhubern ohne synoptische Fähigkeiten in seiner Zunft bezeichnen, hat ein quantitativ wie qualitativ herausragendes Werk vorgelegt. Dennoch wird er im nachhinein zumeist als vir unius libri wahrgenommen, als der Mann nur eines Buches.

Wie es dazu kam, ist eine längere Geschichte. Im Propyläen-Verlag, der damals noch dem Springer-Konzern gehörte, erschien 1978 die „Geschichte der Deutschen“, die Summe eines ertragreichen Gelehrtenlebens. Der bis dato angesehene, sogar in einigen Fernsehsendungen auftretende 54jährige Verfasser, erregte aus zweierlei Gründen weit über die Grenzen seines Faches hinaus Aufmerksamkeit: zunächst durch seine gegenchronologische Erzählweise, die bei der unmittelbaren Gegenwart beginnt und dann in frühere Epochen weiterschreitet.

Bald nach der Publikation verbreitete sich zudem das Gerücht, der Verlag habe anstößige Passagen durch einen Ghostwriter neu schreiben lassen. Konkret handelte es sich um zwei inkriminierte Stellen. An einer bestritt Diwald, daß es auf deutschem Boden NS-Vernichtungslager gegeben habe. An der anderen wehrte er sich gegen die „Gleichsetzung von Drittem Reich und Deutschland“, die mit dem Symbol „Auschwitz“ nicht selten impliziert werde.

Mediale Hexenjagd gegen „Geschichte der Deutschen“

Selbst wer die Sichtweise des Autors als unsensibel zurückweist, sollte nicht vergessen, daß nur knapp zwei Seiten seiner umfangreichen Darstellung als umstritten bewertet wurden. Nach Bekanntwerden entsprechender Hintergründe setzte eine mediale Hexenjagd ein. Besonders ärgerlich waren die Invektiven seines Konkurrenten in der Wallenstein-Forschung, Golo Mann, dessen unsachliche Äußerungen die Verleumdungsmaschinerie zusätzlich anheizten. Noch peinlicher wirkte das Verhalten mancher Lauen. Von seinem obersten Dienstherrn, dem damaligen bayerischen Kultusminister Hans Maier, konnte er keine Hilfe erwarten.

Als Schwejkiade am Rande darf es gelten, daß der Verlag die umstrittenen Stellen jedem, der sie schriftlich anforderte, in Form von Einlegeblättern nachlieferte. Wie sehr die Diffamierungen auch nach seinem Tod anhielten, zeigt der tendenziöse Nachruf des Journalisten Gustav Seibt. Selbst seiner Familie, insbesondere seiner Gattin, der namhaften Würzburger Islamwissenschaftlerin Susanne Diwald, blieb das Spießrutenlaufen nicht erspart.

So fällt ein Schatten auf eine durch und durch erfolgreiche wissenschaftliche Existenz. Diwald verbrachte Kindheit und Jugendzeit im südmährischen Schattau. Er teilte viele Entbehrungen seiner Alterskohorte. Nach der Zeit als Wehrmachtssoldat absolvierte der Sohn eines Technikers eine Ausbildung als Ingenieur am Polytechnikum in Nürnberg. Es schloß sich das Studium der Geschichte, der Philosophie und der Germanistik an. Promotion, Habilitation und die Übernahme eines Lehrstuhles für Mittlere und Neuere Geschichte folgten in relativ kurzer Zeit. Unterstützung erfuhr der Erlanger Extraordinarius nicht zuletzt von seinem Doktorvater, dem legendären Religions- und Geisteshistoriker Hans-Joachim Schoeps, der sich wie kein zweiter für die Erneuerung konservativ-monarchistischer Traditionen in der Bundesrepublik eingesetzt hat.

Diwald veröffentlichte nicht nur wegweisende Biographien über prägende Gestalten der deutschen Geschichte wie Heinrich I., Wallenstein und Luther, darüber hinaus wagte er sich auch an eine viel gelesene Epochendarstellung („Anspruch auf Mündigkeit“ als ersten Band der Reihe „Propyläen Geschichte Europas“). Das Thema Seekrieg faszinierte ihn einige Zeit. Gleichfalls verfaßte er politische Bücher, etwa eine Studie über die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze oder (nach der Wiedervereinigung) die Abhandlung „Deutschland einig Vaterland“. Zudem brachte er einige Essaybände auf den Markt, darunter „Mut zur Geschichte“. An vielen Projekten beteiligte er sich, etwa an dem von Bernard Willms herausgegebenen mehrbändigen „Handbuch der deutschen Nation“ oder an der Gründung der Zeitgeschichtlichen Forschungsstelle Ingolstadt, die immer noch von Alfred Schickel geleitet wird. Politisch wirkte er in seinen späteren Lebensjahren im Umfeld der „Republikaner“.

Präzeptor der deutschen Dauertraumatisierten

Wie kaum einer der Kollegen legte Diwald Rechenschaft über sein „erkenntnisleitendes Interesse“ ab. Zu seinem Berufsethos gehörte ein wertgebundenes Vorgehen als Historiker. Sein Wirken zielte auf eine Stärkung der deutschen Identität. Anders als Vorgänger wie Turnvater Jahn oder Johann G. Fichte war er Präzeptor eines dauertraumatisierten Germaniens. Den Grundsatz vieler Kollegen „Eine deutsche Nation gibt es nicht – es sei denn, man mache sie mies“ nahm er in immer wieder neuen Anläufen aufs Korn. Stets betonte er, zu einer Rehabilitation der zu Unrecht kriminalisierten, gestohlenen deutschen Geschichte beitragen zu wollen.

Diwald wußte wohl, daß einseitiges Vergangenheitsbewußtsein fast zwangsläufig Weichen für die Zukunft stellt, die ins nationalpolitische Niemandsland führen müssen. Ein Blick auf die unmittelbare Gegenwart lehrt, wie recht er damit hatte.

Foto: Hellmut Diwald besucht 1992 die JF-Redaktion: Mut zur Geschichte

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