© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/14 / 15. August 2014

„Totengräber der wehrtechnischen Industrie“
Große Koalition: In der Union wächst die Kritik am restriktiven Kurs von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel bei den Rüstungsexporten
Christian Schreiber

Ralf Stegner dürfte kaum erwartet haben, daß sein Parteivorsitzender so schnell die Positionen aus dem hohen Norden übernimmt. Mitte Juni stellte der stellvertretende SPD-Chef ein Papier vor, das sich mit einer Kurskorrektur der deutschen Außenpolitik befaßte. Vor allem die Forderung „Weniger Rüstungsexporte, auch wenn es Arbeitsplätze kostet“ sorgte für Aufsehen. Beim Bundesparteitag im kommenden Jahr will Stegner, Sprecher der Partei-Linken, für sein Papier um Zustimmung werben. Schneller als gedacht, ist der SPD-Vorsitzende und Bundeswirtschaftsminister nun auf diesen Kurs eingeschwenkt. Vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise hat er ein umfangreiches deutsch-russisches Rüstungsgeschäft gestoppt, obwohl von der schwarz-gelben Vorgängerregierung eine Genehmigung für den Bau eines Gefechtsübungszentrums durch die Düsseldorfer Firma Rheinmetall bereits erteilt war.

Rund 100.000 Arbeisplätze bedroht

Mit dem Widerruf der Ausfuhrgenehmigung geht die Bundesrepublik noch über die von der Europäischen Union beschlossenen Sanktionen gegen Rußand hinaus. Die Maßnahmen, die unter anderem einen Stopp für Rüstungsgeschäfte vorsehen, schließen eigentlich keine bereits vereinbarten Geschäfte ein.

Gabriel, so monieren es mehrere Bundestagsabgeordnete der Union, habe bereits seit einigen Monaten eine Kehrtwende in der Rüstungspolitik eingeleitet. Die Industrie klagt seit Jahren über gekürzte Wehretats in den EU-Ländern und hat sich daher nach Absatzmärkten in Drittstaaten umgesehen. Der Wirtschaftsminister strebe dagegen eine europäische Rüstungsindustrie an, die sich klaren Regeln unterwerfe. „Wenn Gabriel seine restriktive und populistische Exportpolitik fortsetzt, wird er zum Totengräber der wehrtechnischen Industrie Deutschlands“, warnte der CSU-Sicherheitsexperte Florian Hahn in der Süddeutschen Zeitung.

Der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Henning Otte sieht bereits ein Sicherheitsrisiko für die Bundeswehr am Horizont: „Eine leistungsfähige und unabhängige Verteidigungsindustrie ist eine unabdingbare Voraussetzung für die deutsche Sicherheitsvorsorge; sie ist Lebensversicherung für unsere Soldaten im Einsatz. Wenn der Industriezweig in Deutschland erst mal kaputt ist, dann kann die Bundeswehr auf seine Fähigkeiten nicht mehr zurückgreifen.“ Waffen seien kein normales Wirtschaftsgut, sagte dagegen der Friedensforscher Jan Grebe in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. Die Rüstungsindustrie kenne die Risiken und sei angehalten, Konzepte zu entwickeln, sollten Absatzmärkte wegbrechen. Der Stopp des Rüstungsgeschäfts mit Rußland sei vor diesem Hintergrund ein klares politisches Signal des Wirtschaftsministers.

In der deutschen Rüstungsindustrie arbeiten derzeit rund 100.000 Menschen. Nach den Angaben des Friedensforschungsinstituts Sipri ist das größte deutsche Rüstungsunternehmen der Rheinmetall-Konzern, der vor allem Panzer, Flugabwehrsysteme und Munition herstellt und jährlich ungefähr drei Milliarden Euro umsetzt. Rüstungsexporte unterliegen in Deutschland strengen Beschränkungen. Bei der Ausfuhr wird zwischen Kriegswaffen und anderen Rüstungsgütern unterschieden. Die Ausfuhr von Kriegswaffen erfordert eine zusätzliche Genehmigung nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz. Seit 1982 gelten „Politische Grundsätze“ zur Ausfuhr von Rüstungsgütern, im Januar 2000 wurden diese Regeln von der rot-grünen Bundesregierung neu gefaßt. Danach werden Rüstungsexporte grundsätzlich nicht genehmigt, wenn hinreichender Verdacht besteht, „daß das betreffende Rüstungsgut zur internen Repression oder zu sonstigen fortdauernden und systematischen Menschenrechtsverletzungen mißbraucht wird“. Vertreter der Rüstungsindustrie stören sich seit langem an diesem Prozeß der Einzelfallentscheidung. „Die Bundesregierung muß die Exportregeln klären. Das ist ein sensibles Thema und eignet sich nicht für parteipolitische Machtspiele“, sagte Georg Wilhelm Adamowitsch, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, mit Blick auf Gabriels Schwenk Richtung SPD-Linke.

Foto: Exportschlager Kampfpanzer Leopard 2: Seit 1982 wurden die Bestimmungen für die Ausfuhr von Kriegsgerät ständig verschärft

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