© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/14 / 15. August 2014

Die Mär vom bösen Agrarspekulanten
Steigende Lebensmittelpreise: Schuld haben nicht Bauern und Börsianer, sondern Ölpreis und Biospritlobby
Heiko Urbanzyk

Für „zivilgesellschaftliche“ Vereinigungen wie Foodwatch, Attac und die Welthungerhilfe steht im seit Jahren schwelenden Streit um Börsengeschäfte mit Agrarrohstoffen wie Weizen und Mais der Sündenbock fest: „Börsenspekulanten“ und ihre „Hungerwetten“ auf Preissteigerungen sind die Verursacher höherer Lebensmittelpreise. Doch damit machen sie sich die Welt zu einfach.

Der Ausgangspunkt ihrer Argumentation ist richtig: Die Lebensmittelpreise sind in den letzten Jahren dramatisch gestiegen. Die Welternährungsorganisation FAO und die OECD gehen in ihrem Agrarbericht „Agricultural Outlook 2008–2017“ davon aus, daß bis zum Jahr 2017 Weizen und Mais 40 bis 60 Prozent teurer werden könnten, Butter 60 sowie Pflanzenöle um 80 Prozent.

Nahrungsmittelpreise folgen dem Erdölpreis

Völlig unklar sind die tatsächlichen Auswirkungen von Börsengeschäften auf die Preissteigerungen. „In der Wissenschaft gibt es deutliche Hinweise auf den negativen Einfluß der Agrarspekulation“, läßt Foodwatch verlautbaren. Der Verband beruft sich auf Wissenschaftler der Weltbank, der Vereinten Nationen, des internationalen Forschungsinstituts für Agrar- und Ernährungspolitik sowie des Zentrums für Entwicklungsforschung der Uni Bonn. Foodwatch räumt aber ein, es gebe „auch einige Studien, die keinen Einfluß sehen. Den definitiven, abschließenden Beweis, daß Spekulation zu Hunger führt, kann die Wissenschaft mit ihren ökonometrischen Modellen allerdings kaum liefern.“

Die derzeitige Diskussion um die Börsenspekulationen blendet viele mögliche Ursachen von Preissteigerungen aus. Da wäre zum einen die „Konkurrenz zwischen Tank und Teller“, seitdem Mais und Zuckerrüben als Energieträger für „Biosprit“ und „Biogasanlagen“ verwendet werden. Dieselbe marxistisch angehauchte Szene, der die Spekulantenkritiker angehören, zitiert gerne Stimmen wie die des Wissenschaftlers Keith Collins.

Dieser errechnete, daß 60 Prozent der höheren Lebensmittelkosten auf den Ausbau der Biospritproduktion zurückgehen. Donald Mitchell, einer der führenden Rohstoffexperten der Weltbank, sieht für Preiserhöhungen am Maismarkt den Biokraftstoff mit 70 Prozent zu Buche schlagen; für Soja mit 40 Prozent. Dem Agrarwissenschaftler und WDR-Journalisten Wilfried Bommert zufolge führt die Welternährungsorganisation FAO 50 Prozent, die Weltbank gar 75 Prozent der Preiserhöhungen auf den „Biospritboom“ zurück.

Einen weiteren Faktor bilden die seit 2007 massiv steigenden Erdölpreise. Die gesamte Lebensmittelerzeugung ist von der Aussaat über den Kunstdünger bis zum Transport in die Supermarktregale erdölbasiert. Michael Dwyer, Chefökonom der Auslandsabteilung des US-Landwirtschaftsministeriums, konstatierte vor einigen Jahren: „Wenn Sie wissen möchten, in welche Richtung die Nahrungsmittelpreise gehen werden, beobachten Sie den Ölpreis.“

Nicht zuletzt verderben weltweit mehr 50 Prozent aller Lebensmittel oder landen im Müll. Wo in den Industrienationen Lebensmittel kurz nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums im Abfall verschwinden, fehlt in den Entwicklungsländern eine effiziente Infrastruktur. 40 Prozent des Fisches, den afrikanische Fischer fangen, verdirbt aufgrund mangelnder Kühlketten, noch bevor ein einziger Mensch die Chance hatte, ihn zu kaufen.

Wie hoch kann der Anteil der Börsenspekulation an den Lebensmittelpreisen angesichts solcher Zahlen noch sein? Der US-Ökonom Walter Block hat schon 1976 in seinem Buch „Defending the Undefendable“ den Mythos vom „bösen“ Nahrungsmittelspekulanten widerlegt. Nur bei „ökonomischen Analphabeten“ müßten „die Spekulanten“ seit jeher als Sündenböcke für Hungersnöte herhalten. Die Wahrheit sei, so Block, daß der Börsenhandel von Agrarrohstoffen Hungersnöte verhindere. Block, ein Schüler des US-Wirtschaftsnobelpreisträgers Gary Becker, beruft sich auf Adam Smiths „unsichtbare Hand“. Hiernach verfolgt der Markteilnehmer, also auch der Spekulant, einzig und allein seine eigenen Interessen und mehrt damit – ohne es zu wollen – das Wohl aller. Der Spekulant schwäche die Auswirkungen von Hungersnöten ab, gerade weil er große Mengen von ihnen horte und auf den Markt bringen könne – natürlich mit Gewinn.

Nach Block, der an der Loyola-Universität in New Orleans lehrt, übernimmt der Nahrungsmittelspekulant eine Vorbildfunktion, die die Nahrungsversorgung sichere. Konsumenten, Händler und Importeure eifern ihm nach. Sie lagern in Überflußzeiten mehr Lebensmittel, importieren sie günstig. Weil der Gewinn lockt, den der Spekulant wittert, produzieren auch die Bauern mehr. In den „schmalen Jahren“ stehen der Allgemeinheit damit größere Vorräte zur Verfügung als ohne das Wirken der verschmähten „Hungerwetter“.

Der Lebensmittelspekulant an der Börse steigert nicht die Nahrungsmittelpreise, sondern stabilisiert sie langfristig, ist Block überzeugt. Dahinter steckt ein sogenanntes Arbitragegeschäft – er kauft billig in Überflußzeiten bzw. -regionen und verkauft teuer in Mangelzeiten, nutzt also Preisdifferenzen und verringert sie auf diese Weise. Diesen meßbaren Effekt bestätigen auch Ökonomen, die nicht der Österreichischen Schule der Nationalökonomie angehören. „Nach gegenwärtigem Stand der Forschung ist Spekulation nicht die treibende Kraft hinter dem Trend steigender Preise“, sagt Joachim von Braun, Agrarökonom am Zentrum für Entwicklungsforschung in Bonn.

Foto: Im Irrtum vereint: Linke Lobbygruppen wie Attac, Campact und Oxfam protestieren vor dem Reichstag gegen Nahrungsmittelspekulanten, die sie für die eigentlichen Preistreiber halten

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