© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/14 / 15. August 2014

Zwirn für Profis
Schlesisch-sächsische Textiltradition: Die Wattana GmbH näht Schutz- und Berufsbekleidung für Polizei, Bundeswehr, Rettungskräfte, Bahn und Wirtschaft
Paul Leonhard

Wenn es um Wetterschutzparkas, Felddienstbekleidung, Scharfschützen-Overalls in Drei-Farben-Tarndruck, Überlebensanzüge, Fliegerkombis oder Unterzieh-Steppanzüge geht, dann schwören deutsche Männer auf Frau Dr. Work-Couture. In deren virtueller Sprechstunde erfahren die Soldaten, Polizisten, Seeretter vor allem aber das Beschaffungsamt alles Wissenswerte rund um das Thema Textil: von A wie Anprobe bis Z wie Zwiebelschalenprinzip.

Leider existiert die attraktive Dame nur auf der Internetseite der Wattana GmbH. Das Unternehmen ist im westsächsischen Wüstenbrand beheimatet und seit 64 Jahren ein Spezialist für Schutz- und Berufsbekleidung. Es beliefert die Bundeswehr, die Deutsche Bahn, die Schweizer Bundesbahn, Energieversorger sowie Zoll, Bundespolizei und Polizei der Länder, früher auch die Nationale Volksarmee und die Männer in den Kohlegruben. Die dicken Wattejacken waren zu DDR-Zeiten gefragt.

Seinen Ursprung hat die heutige Wattana GmbH im schlesischen Lauban. Nach Krieg und Vertreibung firmierte der im sächsischen Lichtenstein 1950 gegründete Treuhandbetrieb Gustav Winkler KG Lauban zum VEB Wattana um. In schlesischer Tradition nähten nun Sachsen Taschentücher, Morgenbekleidung, vor allem aber Sport- und Arbeitsschutzbekleidung. Nach der Wende wurde das Unternehmen privatisiert und wechselte seinen Namen. Eine Zeitlang beteiligte sich eine Schweizer Holding, deren Anteile schließlich die heutige Wattana-Geschäftsführerin Gabriele Götze Ende 2010 zurückkaufte.

Die Bekleidungsspezialisten aus Wüstenbrand haben dank ihrer exakt auf die Anforderungen der Kunden angepaßte Kleidung einen hervorragenden Ruf, insbesondere bei den Polizisten. Sieben Bundesländer decken sich bei Wattana mit Polizei-Dienst- und Schutzbekleidung ein, Hessen und das Bundesinnenministerium lassen die Anzüge für die Spezialeinsatzkommandos hier fertigen. Ob Outfits für Fahrrad- oder Reitermäntel für Pferdestaffeln, Overalls für Motorradfahrer, Fallschirmspringer, Piloten oder Angehörige der Marine – alles kein Problem.

„Faustschlag ins Gesicht des sächsischen Mittelstandes“

„Unsere Arbeits- und Schutzbekleidung berührt die persönliche Sphäre der Nutzer und wird sehr emotional erlebt“, sagt die Geschäftsführerin Götze. Aussehen, Funktionalität, Trage- und Sicherheitskomfort würden beim Träger ein Gefühl des Wohlbefindens erzeugen und die Identifikation mit dem Unternehmen fördern. Besonders ausgeprägt scheint das bei der Gewerkschaft der Polizei zu sein. In immer neuen Pressemitteilungen greift sie Sachsens Innenminister Markus Ulbig an, der – offenbar mit Rückendeckung von Ministerpräsident Stanislaw Tillich (beide CDU) – den Bekleidungservice der Polizei privatisieren will. Bisher ist dafür das Logistikzentrum des Polizeiverwaltungsamts zuständig, das Leistungen ausschreibt, Angebote vergleicht und Verträge mit den Lieferanten abschließt.

Die aktuellen Pläne des Innenministers werten die Polizeigewerkschaftler als einen „Faustschlag ins Gesicht der mittelständischen Unternehmen Sachsens“. Eine Privatisierung würde viele Arbeitsplätze in der sächsischen Textil-industrie kosten und das Ansehen des Freistaates als Wirtschaftsstandort beschädigen. Wenn die Polizisten künftig in Bangladesch hergestellte Uniformen trügen, müßten soziale Standards in der Beschaffung aufgegeben werden, warnt die Gewerkschaft. Ministerpräsident Tillich soll daher die Privatisierung stoppen und die Zusammenarbeit des Logistikzentrums der Polizei mit der sächsischen Textilindustrie durch Kooperationsverträge ausbauen, fordern die Gewerkschaftsvertreter.

Dabei geht es nicht nur um Wattana, sondern auch um die enge Zusammenarbeit der sächsischen Textilindustrie mit Textilforschungsinstituten. Gabriele Götze erinnert sich, wie sie vor zwei Jahren dem Sachsen-Premier eine Wattana-Weste schenkte, nachdem er sich über ein fusselndes Konkurrenzprodukt beklagt hatte, das nicht aus Sachsen stammen könne.

Fachwissen schützt vor Billigkonkurrenz

„Für die kleine sächsische Textilbranche hat Tillich immer ein offenes Ohr“, sagt Götze der JF. Doch seine Privatisierungspläne schmecken auch der Unternehmerin nicht. Andererseits ist Wattana breit aufgestellt, die rund 40 Mitarbeiter verfügen über Fachwissen, das Billigproduzenten in der Dritten Welt nicht kopieren können. So muß die Schutzkleidung in der Energiebranche antistatisch, schwer entflammbar sein und soll vor Störlichtbogen und Temperaturen über 10.000 Grad Celsius schützen; die Seenotretter widerum brauchen bewegliche, aber hochseetaugliche Spezialkleidung. Das kann nicht jeder.

www.wattana.de

Foto: Unter Hochspannung: Energietechniker brauchen antistatische, temperaturunempfindliche Kleidung

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