© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/14 / 15. August 2014

Ein intellektueller Tausendsassa
Monika Fink-Langs vorzügliche Biographie über den Publizisten Joseph Görres
Wolfgang Saur

Auf der Epoche der „Deutschen Bewegung“, der Goethezeit liegen Schatten. Nur einzelne Aspekte oder Autoren treten zuweilen hervor, werden Gegenstand kurzer Debatten. Der große Zusammenhang dagegen bleibt ausgeblendet. Dieser erscheint vielmehr dekonstruiert, einzelnes daraus – Aufklärung oder Frauenemanzipation – hingegen modernistisch verselbständigt. Vor allem die wesentliche Identität der Goethezeit als „Idealismus“und Teil abendländischer Kontinuität wird unterschlagen.

Das nun betrifft die Romantik in hohem Maß. Seit den 1790er Jahren (bis 1848) wird sie zum eigentlichen Erben des Sprach- und Ideenreichtums von Empfindsamkeit, Pietismus, Aufklärung und Klassik. Nur teilweise verkörpert in Poesie und Kunst, entfaltet sie sich wesentlich als Bewegung qua Wissenschaft und Philosophie. Die Brüder Schlegel, Franz von Baader, Henrik Steffens, Adam Müller, Karl Gustav Carus oder Schelling sind ihre wichtigen Vertreter.

Entgegen dem verbreiteten Klischee opponieren diese aber nicht als „Irrationalisten“ gegen das aufklärerische Vernunftdogma. Sie wurzeln metaphysisch tiefer: in traditionalen Anschauungen vom gestuften Kosmos und dem Menschen als dessen Chiffre. Rationalität verwerfen sie nicht, binden sie vielmehr „transrational“ in universellere Kontexte ein.

Ihr schöpferisches Denken fällt nun mit der Krisenperiode revolutionärer Herausforderungen zusammen. Das provoziert kühne Innovationen und ein geistvolles Bestreben, Ideen, Erfahrungen und Wissen schöpferisch zu integrieren. Hier wurzeln die kosmische Naturanschauung Alexander Humboldts, die heilsgeschichtlichen Konstruktionen Schellings, die Symbol- und Mythenkunde Creuzers oder Hegels „absolute Philosophie“.

Radikalster Vertreter der welthaltigen Romantik war ohne Zweifel Joseph Görres (1776–1848). Seine Biographie verdeutlicht, wie sehr der revolutionär-napoleonisch-restaurative Zyklus auch die deutschen Intellektuellen weltgeschichtlich involviert hat. In naher Fühlung mit den Ereignissen, in aktiver Mitwirkung sogar, hat Görres wie kein zweiter die historische Fieberkurve mit vollzogen: kritisch, mutig, unbedingt auf jeder Stelle. So wurde er beides: die markanteste politische Stimme Deutschlands, ein Mahner, Prophet und Visionär sogar; dann aber Gelehrter von Weltformat, ein wissenschaftlicher Pionier und tiefgründiger Humanautor.

Seine Positionswechsel, die Metamorphosen seines Weltbilds waren dabei teils seinem faustischen Streben, teils seiner leidenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Zeitläuften geschuldet. Mit ihnen focht er lebenslang gleich einem dialektischen Prozeß. Görres, der Jakobiner, Görres, der romantische Naturphilosoph und Mythenforscher, Görres, der nationalpolitische Autor, Görres, der Autor großer Staatsschriften und Görres, der Historiker christlicher Mystik und katholischer Publizistik im Vormärz. Görres, der von seinen „Sieben Leben“ sprach und in ebenso vielen Disziplinen exzellierte, ist auch Namenspatron der Vereinigung katholischer Akademiker, der Görres-Gesellschaft (1876), geworden.

Görres hatte eine gewaltige Bandbreite von Talenten

Selbst Ausdruck einer archaischen Bildungseinheit an der Schwelle zum modernen Wissenssystem, fiel der romantische Faust postum der modernen Fachforschung anheim, die ihn zum Steinbruch machte. Doch wuchs der Schwall von Spezialliteratur, sank auch die Chance, der Mitwelt überhaupt noch ein umfassendes Bild von Görres’ geistiger Gestalt zu bieten. Keine Belanglosigkeit: denn nur die Biographik erreicht ein breites Publikum. Doch war in diesem Fall die Aufgabe kein Kleines, mußte der Interpret doch der gewaltigen Bandbreite Görresscher Talente gewachsen sein.

Verblüffend, daß solch eminentes Desiderat jetzt eingelöst wurde. Monika Fink-Lang, tätig an der Eichstätter Forschungsstelle und Mitarbeiterin der großen Görres-Ausgabe, hat Leben und Werk des genialen Publizisten mustergültig bilanziert. Eine maximal genaue Lebenschronik verbindet sie mit der überlegenen Ausleuchtung der polit-, sozial- und kulturgeschichtlichen Kontexte und Hintergründe; vollends beeindrucken ihre tiefschürfenden Kommentare, Analysen, Deutungen von Görres’ Schriften, die dem Band erst seine intellektuelle Erschließungskraft geben.

Beachtlich, wie die Autorin dabei nichts ausläßt, keinen relevanten Text umgeht und sich der Mühe unterzieht, auch kryptische Schriften zu durchdringen. Wer sich an Görres je abarbeitete, weiß, um welchen Schweiß es hier zu tun ist, mit welch barocken Korallenriffen, epischem Meeresrauschen und wuchernden Metaphern der multiple Sprachmeister seine Leser oft bedrängt. Gewaltige hermeneutische Herausforderungen galt es da zu überwinden. Gemeistert hat sie die Autorin mit staunenswerter Disziplin, Kraft und Geduld.

Görres, der die Naturphilosophie der Paracelsus und Böhme aufgriff; der mit dem Rheinischen Merkur (1814–16) Deutschlands erste politische Zeitung schuf; der mit der „Mythengeschichte der asiatischen Welt“ (1810) die komparative Religionsforschung inaugurierte und mit seinen „teutschen Volksbüchern“ (1807) die Germanistik; der in seiner Geschichtsphilosophie (1819/22) die Zeitakteure beschwor, das Freiheitsmotiv zu verinnerlichen; den staatliche Repression und liberale Angriffe gegen die Kirche 1838 zur katholischen Stimme im Deutschen Bund machten; der als linker Jakobiner begann und als Warner vor dem Kommunismus endete und dessen letztes Wort lautete, das göttliche Prinzip sei die Wurzel aller Geschichte: Görres mag uns ein konservativer Revolutionär avant la lettre heißen. Seine bündige Darstellung bietet jetzt die vorliegende Biographie.

Monika Fink-Lang: Joseph Görres. Die Biographie. Schöningh Verlag, Paderborn 2013, gebunden, 384 Seiten, Abbildungen, 39,90 Euro

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