© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/14 / 22. August 2014

„Kommen Sie einfach vorbei!“
Nachruf II: JF-Redakteur Moritz Schwarz über seine Bekanntschaft und jahrelange Zusammenarbeit mit Peter Scholl-Latour – bei Champagner und im Tropenhemd
Moritz Schwarz

Das ist mir viel zu weit weg“ war die Antwort Peter Scholl-Latours auf meinen Vorschlag. Es war bei einem meiner Besuche in seiner Wohnung in Berlin-Charlottenburg. Seine Frau hatte mich eben gefragt, ob ich nicht einen Lokal-Tip für die beiden hätte. Da ich selbst im damals noch günstigen Berlin-Mitte wohnte, konnte ich nur eine Restauration dort nennen. Als „PSL“, wie er sich selbst auf seinem Klingelschild nannte, hörte, daß er also ganze acht Kilometer Taxi fahren sollte, wehrte er ab. Acht Kilometer waren dem Weltenwanderer, der nach eigenem Bekunden inzwischen alle Länder der Erde bereist hat – lange hatte ihm nur noch Ost-Timor gefehlt –, der mit fast neunzig Jahren sich noch durch Dschungel und Wüsten schlug, „zu weit“. Wer mußte da nicht in sich hineinlachen?

Er lobte, in der JF könne er noch unzensiert schreiben

Das erste Mal traf ich Professor Scholl-Latour – „das Professor lassen Sie mal weg“ – persönlich nach dem 11. September 2001. Ob wir ein Interview über den beginnenden „Krieg gegen den Terror“ führen könnten? „Kommen Sie einfach bei mir vorbei!“ war seine Antwort, und im Gespräch, das am 21. September 2001 in der JUNGEN FREIHEIT erschien, sagte er voraus: „Die Amerikaner werden diesen Feldzug nicht gewinnen.“ Ein Blick in den Irak genügt um zu sehen, daß er recht behalten hat. Wer die 19 Interviews und 22 Kommentare die Scholl-Latour im Laufe der Jahre in dieser Zeitung publizierte, noch einmal nachliest, erkennt, wie oft er im ganzen richtig lag. Und wenn nicht, dann meist weil es sogar noch schlimmer gekommen ist, als von ihm vorausgesagt. Als „den greisen König aller Unken“ verspottete ihn Peter Schneider 2003 im Spiegel, kurz nach der US-Eroberung Bagdads. Warscheinlich schämt sich Schneider noch heute für seine Voreiligkeit ...

Daß ich im Laufe der Jahre so viele Interviews mit ihm führen und etliche seiner Kommentare betreuen würde, hätte ich damals nie gedacht. Zumal Scholl-Latour kein einfacher Gesprächspartner war. Immer wieder verlor er sich in zahllosen Anekdoten aus seinem reichen Reise- und Reporterleben und die Gespräche uferten aus, waren später, bei der Abschrift und Zusammenfassung, kaum in Zaum zu bekommen. Eine regelrechte Kunst war es dabei, den Ton herauszufiltern, den Scholl-Latour sich vorstellte. Er bestand auf eine ganz eigene Diktion und hin und her gingen die Texte, bis er endlich zufrieden war. Alles per Fax, denn SMS, E-Post und Internet waren ihm – der sogar seine Bücher noch mit der Hand schrieb und dann von einer Sekretärin abtippen ließ – bis zuletzt unzugänglich. Er informierte sich auf klassische Journalistenart: Jeden Morgen ging er zum Kiosk gegenüber – einmal nahm er mich dabei mit – und kaufte sich fünf nationale und internationale Zeitungen. Die JUNGE FREIHEIT war zwar nicht dabei, aber die bekam er als unser Autor ja auch frei Haus, wo er sie, wie er immer wieder betonte, gern auch weiterreichte.

Natürlich ließen die Vorwürfe, in der JF zu publizieren, nicht auf sich warten. Doch statt zurückzuziehen, quittierte er solche Vorwürfe erst recht mit Lob für die journalistische Arbeit der JF, die in der öffentlichen Aussage gipfelte, die JUNGE FREIHEIT drucke, anders als andere Zeitungen, wenigstens noch unzensiert, was er schreibe. Als ich ihn später fragte, ob das wirklich ernst gemeint oder er nur, um einen Kontrapunkt zu setzen, zugespitzt habe, stellte er klar, daß es sich keineswegs um eine Übertreibung handele und daß er das auch schon in Interviews anderen Medien gegenüber so gesagt habe, die solches JF-Lob aber wohl herausschnitten.

Natürlich betonte er, daß er inhaltlich ganz und gar nicht mit allem in der JF übereinstimme, aber er schätze den Journalismus der JF, der für ihn bedeute, „daß es noch unabhängige Geister gibt, die das Risiko eingehen, gegen den Strom zu schwimmen“, und er gewährte uns gar, diesen Satz samt seinem Konterfei für unsere Abowerbung zu verwenden. Als der Spiegel schließlich 2004 einen eigenen Artikel über die angeblich skandalöse Nähe Scholl-Latours zur JF publizierte, die sich etwa in seinen vielen Interviews bei uns dokumentiere, gab Scholl-Latour uns flugs noch eines.

So ganz bin ich allerdings nie hinter die Sympathie gekommen, die Scholl-Latour für die JF empfand. Ihm standen Medien mit ganz anderer Reichweite und Reputation zur Verfügung. Kein anderer Autor von solchem Rang hat so bereitwillig so oft in der JF publiziert – was ja jedesmal etliche Stunden seiner immer kostbarer werdenden Lebenszeit kostete. Und ein Honorar hat er dafür nie verlangt. Über eine Einladung in unsere Redaktion freute er sich sichtlich, akzeptierte im Gegenzug sogar Besuche meinerseits bei ihm zu Hause, ganz ohne berufliches Anliegen. Dann warf er sich – je nach Laune – in Schale, das hieß bei ihm khakifarbenes Tropenhemd und Halstuch mit Indochina-Flair und köpfte auch mal eine Flasche Champagner. Als ihm 2008 von uns der undotierte Gerhard-Löwenthal-Ehrenpreis angetragen wurde, akzeptierte er im Gegensatz zu anderen sofort und freute sich, wie er sagte, auf „einen schönen Tag“ der Preisverleihung, den er dann sichtlich genoß.

Einmal trug ich die Bitte eines anderen Journalisten auf ein Gespräch mit ihm an ihn heran. Seufzend lehnte er ab: „Ich bitte Sie um Verständnis. Wenn Sie wüßten, wie viele Leute mit mir sprechen wollen! Es gibt sogar welche, die bieten mir 1.000 Euro, wenn sie mich mal zum Abendessen einladen dürfen.“ „Und, gehen Sie darauf ein?“ „Natürlich nicht!“ Spätestens da wurde mir klar, wieviel Freundschaft Scholl-Latour für diese Zeitung empfinden mußte.

Natürlich stellte ich ihm eines Tages auch die Alte-Kameraden-Frage, ob er denn einmal Fremdenlegionär gewesen sei, wie die Fama ging, und warum sich in seinen Büchern nichts davon finden lasse. „In Indochina war ich französischer Fallschirmjäger – aber nie bei der Fremdenlegion“, stellte er klar. Warum er dann dieses Gerücht nicht dementiere? „Das habe ich! Jahrelang!“ stöhnte er resiginiert. „Aber es ist nicht totzukriegen. Irgendwann habe ich aufgegeben und sage seitdem einfach nichts mehr dazu.“

Im Fragebogen der FAZ gab er einmal an, sein Lieblingslied sei „Es zittern die morschen Knochen“. Daß es – zu Unrecht, weil von den Nationalsozialisten gekapert, aber nicht gedichtet – unter Verdacht steht, kümmerte ihn nicht. Im Gegenteil: Er, der sich von den Nationalsozialisten ferngehalten und nur durch einen glücklichen Zufall seiner Hinrichtung durch die NS-Justiz gegen Ende des Krieges entgangen war, liebte solche scheinbaren Widersprüche. Er erzählte mir, daß sein Vater im deutschnationalen Stahlhelm aktiv war und eine Frau jüdischer Abstammung geheiratet habe oder daß er mit einem SS-Mann in deutscher Militärhaft saß, der wegen Vergewaltigung einer Slawin angeklagt war. „Das gab es auch!“, betonte er dann, und ich glaube, er wollte die Leute, die die Welt nur zu gerne in Schwarz und Weiß einteilen, mit solchen Hinweisen zum Nachdenken bringen.

Was ihn sehr bedrückte war das Leiden und Verschwinden der Christen im Nahen Osten. Daß das „christliche Abendland“ sich darum nicht schert, nannte er mir gegenüber immer wieder aufrichtig empört eine „große Schande“.

Zuletzt besuchte ich ihn am 9. März dieses Jahres an seinem neunzigsten Geburtstag. Bis auf die Schwerhörigkeit machte er einen guten Eindruck, nichts deutete an, daß dies die letzte Monate sein würden. Wieder saßen wir mit seiner Frau Eva in seiner Galeriewohnung mit Rundumblick über die Berliner Dächer und wie immer hieß er mich zum Abschied ausdrücklich „die ganze Mannschaft“ zu grüßen. Und auch bei unserem letzten Telefonat wenige Wochen vor seinem Tod war ihm nichts anzumerken. Hundert Jahre mindestens habe ich bei Peter Scholl-Latour stets geschätzt. Reise- und Buchpläne hätte er zur Genüge gehabt. Denn beinahe unsterblich war seine Neugier.

Weiteres zum Tode von Peter Scholl-Latour: www.jungefreiheit.de

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