© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/14 / 22. August 2014

Brüssel die Suppe versalzen
Rußland: Moskau sieht die EU-Sanktionen als willkommenen Anlaß, seine Handelspartnerschaften neu auszurichten
Thomas Fasbender

Wir überleben auch ohne Äpfel und Oliven“, titelt eine russische Internet-Plattform. Liberale wie der Wirtschaftswissenschaftler Sergej Guriew sind skeptischer: Aus seiner Sicht sei Putins Popularität eng mit dem Lebensstandard der Bevölkerung verknüpft. Auch der deutsche Landwirtschaftsminister glaubt nicht, daß Rußland das Embargo für westliche Lebensmittel durchhalten kann. Die Lücken könne das Land alleine nicht schließen, so Christian Schmidt in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

In der Tat, nicht nur auf den ersten Blick mutet die Aufgabe herkulisch an, die Rußland sich am 7. August selbst gestellt hat. Von einem Tag auf den anderen entsagt das Land einem Viertel aller Lebensmittelimporte, Waren im Wert von jährlich rund zehn Milliarden US-Dollar. Einige Produkte dürften zwar durch Weißrußland und Kasachstan ihren Weg in die Regale finden. Doch Engpässe und Preissteigerungen werden nicht ausbleiben.

Rio, Ankara, Peking wollen in die Bresche springen

Trotzdem stellt sich die Frage, ob die Moskauer Gegensanktionen zum Scheitern verurteilt sind. Der Kreml betreibt schließlich keine Autarkie-Politik nach dem Vorbild der UdSSR. Bereits bei der Verkündigung des Embargos Anfang August klang an, daß Handelsgespräche mit Drittstaaten im Gange sind. Am gleichen Tag hob die russische Aufsichtsbehörde bestehende Importverbote für Lebendvieh und Fleisch aus Brasilien auf. Wenig später fielen auch die über zehn Jahre alten Einfuhrbeschränkungen für chinesisches Schweinefleisch.

Neben der Stärkung der heimischen Agrarwirtschaft zielen Moskaus Maßnahmen auch auf die engere Kooperation mit der nichtwestlichen Welt. Der EU droht dabei die Gefahr, erhebliche Marktanteile zu verlieren. Ein Außenministertreffen beschäftigte sich entsprechend mit der Frage, wie Brüssel Brasilien, Ägypten oder die Türkei davon abhalten könne, als „Blockadebrecher“ einzuspringen.

Moskaus Kalkül scheint bis dato aufzugehen. Brasilien erwartet einen Exportschub ähnlich dem nach der Öffnung der chinesischen Rohstoffmärkte Anfang der 2000er. Bereits im Juli haben die Brasilianer verglichen mit dem Vorjahr mehr als doppelt soviel Fleisch nach Rußland geliefert. Chile, Peru und die Färöer erwarten, vom Lieferverbot für norwegischen Fisch zu profitieren. Weißrußland, das schon vor den Sanktionen Lebensmittel für über sechs Milliarden US-Dollar im Jahr nach Rußland geliefert hat, will seine Ausfuhren noch um bis zu 50 Prozent steigern. Auch der Chef des Schweizer Bauernverbands, Jacques Bourgeois, reibt sich die Hände: „Wir sind froh über jedes Kilo Käse, das wir mehr exportieren.“

Ankara zeigt sich gegenüber den Avancen Moskaus ebenso aufgeschlossen. Laut Nachrichtenagentur TRT seien bereits Vorgespräche geführt worden. Im Fall einer Einigung werde die Türkei vor allem Tier- und Milchprodukte liefern. Eine Liste der Firmen, die ihre Waren nach Rußland exportieren möchten, sei den russischen Funktionären bereits überreicht worden.

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