© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/14 / 22. August 2014

Sehnsucht nach Natur
Romantische Landschaften: Eine Ausstellung mit Bildern aus England und Deutschland ist nach London jetzt in New York zu sehen
Sebastian Hennig

Das Gedenken an den großen Krieg inspirierte dieses Jahr unversehens ein „Deutsches Kulturjahr“ in London. Zeitgleich zu einer Ausstellung deutscher Malerei der Renaissance in der Londoner Nationalgalerie (JF 12/14) lief im Frühjahr in der Courtauld-Galerie eine Zusammenschau deutscher und englischer Landschaftsmalerei der Romantik. Nun werden die erlesenen Werke aus dem Zeitraum zwischen 1760 und 1840 aus den Londoner und den eigenen Beständen auch in der Morgan Library in New York präsentiert.

Angesichts der altmeisterlichen Gemälde wurde in London die Frage aufgeworfen, ob Erfindungsgabe und genaue Naturbeobachtung in der Kunst vereinbar wären. Die Romantik-Ausstellung macht klar, daß diese Verknüpfung nicht nur eine Möglichkeit, sondern eine Erfordernis lebensvoller Kunst ist. Gestaltung und Beobachtung sind in der romantischen Kunstauffassung untrennbar miteinander verflochten. Dabei gibt es Abstufungen, die mehr der einen oder der anderen Seite zuneigen.

Fast schon impressionistische Anmutung haben die atmosphärischen Landschaften von Constable und Gainsborough. Gezügelt wirkt dagegen der Deutschrömer Theodor Rehbenitz. Seine Nazarenische Heroisierung der Landschaft ist keine instinktlose Willkür, sondern bekundet eleganten Stilwillen. Sentimentalität bedeutet hier nicht gefühlig verschwimmende Indifferenz. Sie kristallisiert im präzisen Ausdruck. Das seelische Empfinden geht auf in aparter Linienführung und beherrschten Schraffuren.

Dazwischen steht der vorromantische, aus Meißen stammende Johann Georg Wagner. Er starb 1767 im Alter von nur 23 Jahren, bevor die meisten anderen ausgestellten Künstler eigentlich aktiv wurden. Postum sollten die Landschaftszeichnungen des Zeichenlehrers der Akademie Meißner Porzellanmanufaktur einige Bedeutung erlangen. Berühmte Künstler fertigten Druckgrafiken danach, und besonders die Deckfarben-Malerei von seiner Hand erreichte internationale Berühmtheit. In Paris kursierte der Begriff „coloriés d’après Wagner“. Seine Malweise wurde als Vorbild, als „la manière de Wagner“ in Anspruch genommen. Daß das Londoner Blatt mit dem Ochsenkarren bereits im 19. Jahrhundert in eine englische Sammlung gelangte, bezeugt die internationale Wertschätzung eines Künstlers, der nur wenige vollendete Gemälde hinterlassen konnte und hierzulande kaum noch bekannt ist.

Aufgrund unterschiedlicher Erfahrungen ist die Perspektive der Künstler auf der Insel oder im Herzen des Kontinents sehr verschieden. Die britischen Landschaften waren weit eher als die deutschen Länder durch Einhegung und Industrialisierung einem gärtnerisch-paradiesischen Urbild entfremdet. So verläuft das Visieren auf die Sehnsuchtsziele auf anderen Geraden in die gleiche Zielrichtung.

Die gleiche Anziehungskraft üben antike Landschaften der römischen Campagna auf deutsche wie englische Kunstreisende aus. Jakob Philipp Hackerts Blick auf die Wasserfälle von Tivoli und John Robert Cozens’ Tomba der Cecila Metella künden davon. Wobei letzterer Maler sogar russische Wurzeln hat. Während der englische Pragmatismus das Landschaftsbild von Zeichen der eigenen Vorgeschichte geräumt hat, werden die englischen Künstler im rückständigen agrarischen Deutschland fündig. William Turner malt die Ruine Katz bei St. Goar, den unvollendeten Kölner Dom, den Mont Blanc, den Luzerner See. Diese, wenn man so will, südlichen nordischen Gefilde bargen für ihn die gleiche Entrückungserfahrung wie für Caspar David Friedrich die Landschaften Pommerns und Böhmens mit ihrem unstillbaren Geheimnis.

Wolkenstudien haben Constable ebenso beschäftigt wie Dahl und Dillis. Ein Skizzenbuchblatt von Robert Streatfield entwickelt ein unverkennbares Friedrich-Motiv. Ein Wanderer mit Kappe und Stock ist in Rückenansicht sitzend im Mittelgrund einer Geröllhalde zu erblicken, die in der Ferne von Sträuchern gesäumt ist. Die Bleistiftzeichnung ist so sorgfältig mit Aquarellfarbe ausgetuscht, daß aus ihr ein Papiergemälde entsteht, vergleichbar C. D. Friedrichs frühen Sepia-Landschaften.

Natürlich bilden die Blätter von William Turner und Caspar David Friedrich den Doppelgipfel dieser Kunstepoche. Aber ebenso eigen und im sonderbaren Umfang seines Werkes, das von der Hochromantik bis zum viktorianischen Barock reicht, in Deutschland erst noch zu entdecken, ist Samuel Palmer (1805–1881). In seiner Darstellung eines gewaltigen Eichenstamms von 1828 zeigt sich ein Strukturgewebe und Linienspiel, das bei allem Anschein der Manieriertheit immer im Dienste des erhabenen Totaleindrucks eines Naturerlebnisses steht. Hier ist beispielhaft Erfindungsgabe, ja Spielerei mit getreuer Wiedergabe der Natur versöhnt. Am Hudson blickt nun man durch diese Ausstellung wie durch ein Doppelglas zurück zu den deutschen und englischen Wurzeln der amerikanischen Zivilisation.

Die Ausstellung „A Dialogue with Nature: Romantic Landscapes from Britain and Germany“ ist bis zum 7. September im The Morgan Library & Museum New York zu sehen. Der Katalog kostet 20 US-Dollar.

www.themorgan.org

Foto: William Turner (1775–1851) ‚ St. Goarshausen und Burg Katz, 1817: Entrückungserfahrung

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